Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Enthuellungen eines Familienvaters

Enthuellungen eines Familienvaters

Titel: Enthuellungen eines Familienvaters
Autoren: Giovannino Guareschi
Vom Netzwerk:
ich mit Interesse mein anderes Selbst.
    Die Spiegelfabrikation hat einen wahrhaft bewundernswerten Grad technischer Vollkommenheit erreicht; aber es ist trotzdem etwas anderes, das eigene Gesicht in einem Glas oder es direkt zu sehen. Die Tatsache, daß ich nach Belieben über die Erde oder durch die Luft reisen und mich aufhalten konnte, wo es mir am besten gefiel, erleichterte meine Beobachtungen nicht unwesentlich.
    Endlich konnte ich mir nun den Grund meines eigenartigen Erfolges bei Leuten von hohem Wuchs erklären und meinen nicht minder eigenartigen Mißerfolg bei Leuten von kleiner Gestalt. Mein Gesicht war von oben gesehen wirklich einnehmend; von unten gesehen hatte es aber wegen der vorspringenden Backenknochen und des allzu dicken Halses etwas Plumpes.
    Ich bemerkte auch, und zwar mit großem Stolz, einen schönen Anstand in meiner Haltung, die Augen zwanglos geschlossen, Beine und Arme in guter Lage, ein Lächeln auf den Lippen.
    Es sah aus, als träumte ich angenehme Dinge.
    Bald blieb ich mit mir allein; der Arzt und die Krankenschwester gingen gleich weg. „Der kommt uns nicht mehr hin“, sagte der Doktor. Und darüber mußte ich herzlich lachen.
    Auch ich ging fort, nicht weil ich mich fürchte, sondern weil ich den Anblick eines Menschen, der, ohne zu schauen, ohne zu sprechen, ohne zu hören und ohne zu atmen, unbeweglich auf seinem Bett hingestreckt liegt, nicht unterhaltend finde.
    Kaum war ich auf dem Gang, konnte ich nicht widerstehen. Seit Jahren und Jahren träumte ich davon, hundertmal hatte ich mich schon an die Spirale des Treppengeländers herangemacht, aber dann hatten mich gewisse Erwägungen über das Gesetz der Schwerkraft auf den Plan verzichten lassen.
    Aber nun gab es für mich kein Gesetz der Schwerkraft mehr. Mit einem Ruck sauste ich vom vierten Stock hinunter. Ein großartiger, schwindelerregender Flug! Auf einer Handbreit Boden angekommen, begab ich mich ruckartig in die Horizontale, passierte das Haustor, glitt durch einen mitten auf der Straße stehenden Lastwagen, schnellte mich mit einem schwungvollen Aufbäumen in den sechsten Stock empor, ließ mich wieder fallen und kam wie ein welkes Blatt nach unten.
    Ich warf mich gegen fahrende Autos, streckte mich auf den Straßenbahngleisen aus, wenn gerade ein Wagen daherkam, ließ die Räder der Autobusse mich überfahren.
    Ich setzte mich einem Schutzmann auf den Kopf, begab mich in eine Schachtel Sardinen und in eine Uhr am Handgelenk eines Mädchens. Dann ging ich in die Redaktion. Der Chef schlief in einem großen Lehnstuhl; ich tanzte auf seiner Weste herum.
    Sie wußten es schon. Sie sprachen davon, wieviel man für Blumen anlegen sollte. Der Personalchef sagte, im Grunde genüge es, wenn morgen ein einziger in Vertretung aller anderen ginge. Dann sagte mein intimster Kollege, der Text des Beileidstelegramms an meine Familie sei fertig.
    Der Personalchef las laut und strich ein Wort. „Telegramme sind Telegramme“, meinte er. „Sonst würden sie nicht so heißen und soviel pro Wort kosten.“
    Ich unterhielt mich ausgezeichnet, denn plötzlich öffnete die Sekretärin eine Lade meines Schreibtisches und stieß einen Schrei aus. Alle liefen herbei und zogen mit zitternden Händen eine ungeheure Menge von Briefen aus der Lade.
    „Seit zwei Jahren erledigt er keine Korrespondenz! Ungeöffnete Expreßbriefe! Eine wichtige Mitteilung zum Federnreinigen verwendet!“
    Alle waren blaß geworden; wer von ihnen würde dieses Inferno wieder in Ordnung bringen müssen?
    „Alles streichen!“ brüllte der Personalchef und schwang den Telegrammentwurf in der Luft. „Es genügt das Wort ,Beileid’ ! Auch das ist schon zuviel!“
    Ich setzte mich rittlings auf seine Schultern und lachte vor Vergnügen.
    Ich schwang mich aus dem Fenster und begann, auf den Dächern zu balancieren.
    Ich traf einen Kollegen. Lungenentzündung. Er war im Begriff, emporzuschweben, und ich sagte ihm, es sei nicht so eilig. Lassen wir uns achtundvierzig Stunden Zeit, ehe wir uns oben vorstellen. Jeder hat seine Kleinigkeiten auf der Erde in Ordnung zu bringen. Wir begannen, über alles mögliche zu sprechen. Er war ein älterer, sehr ernster Herr. Wir redeten ein wenig über Politik. „Ich gehe doch gleich!“ rief er aus. „Ich möchte wirklich hören, was man oben sagt.“
    Ich blieb allein. Es war nun Abend geworden, und ich trieb mich lange in der Umgebung meines Hauses herum. Dann entschloß ich mich, außer Hauses zu schlafen, und zwar auf
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher