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Enthuellungen eines Familienvaters

Enthuellungen eines Familienvaters

Titel: Enthuellungen eines Familienvaters
Autoren: Giovannino Guareschi
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Flaminia schläft in einem fernen Haus und träumt, daß auch ich ein schönes Speisezimmer gekauft habe wie meine Schwester. Meine Schwester schläft in ihrem Haus und träumt davon, daß ich ein weniger schönes Speisezimmer gekauft habe als sie. Herr Luigi schläft und träumt einen seiner Vorkriegsträume, Träume, die man heute nicht mehr erzeugt und nie wieder erzeugen wird.
    Mein Bruder schläft und träumt, daß er einen Beruf gefunden hat, einen außerordentlichen, gewaltigen Beruf, den Beruf, welchen er seit vielen Jahren vergeblich sucht.
    Margherita schläft und träumt, daß ich das Licht in der Küche nicht abgedreht habe.
    Es ist der geeignete Augenblick, diesen Brief zu schreiben.
    Wir werden ihn mit der Feder schreiben, um keinen Lärm zu machen.
    „Gnädige Frau,
    Sie erinnern sich gewiß nicht daran, aber wir haben einander vor einigen Jahren auf den Gütern von Rivalto kennengelernt.
    Ich erinnere mich genau: es war ein Julitag, ich saß im Schatten eines Maulbeerbaumes und schaute beim Ernten des goldgelben Getreides zu.
    Zwanzig Frauen arbeiteten, bis zum Erdboden gebeugt, mit der Sichel; aber ich bemerkte unter ihnen vor allem eine magere Alte in dunklen Kleidern, das Tuch unter dem Kinn geknotet. Ich bemerkte sie, weil sie die letzte war und weil sie so gebeugt war, daß sie in zwei Teile zerbrochen schien. Als sie wenige Schritte vor mir war, sagte ich zu ihr: ,Ist’s heiß, Großmütterchen?1 ,Es ist heiß1, antwortete sie, ohne sich aufzurichten.
    Und nun beobachtete ich etwas Eigenartiges: während die anderen Frauen eine Kielfurche von Ährenbündeln hinter sich ließen, ließ die Alte nichts hinter sich.
    Kaum geschnitten, zerfielen ihr die Ähren in der Hand und wurden zu einem Häufchen grauen Staubes.
    Diese Alte waren Sie, meine Dame. Und zu Mittag, als die anderen Frauen in der Allee zusammenkamen, um Brot und Pfefferoni zu essen, war die Alte nicht mehr da.
    Sie dürfen solche Geschichten nicht machen, meine Dame. Sie nehmen um einer frivolen Belustigung willen jemandem, der darauf wartet, Arbeit und Brot. Sie könnten auch Anstände mit den Behörden haben. Außerdem: wenn man so viel zu tun hat wie Sie, vertut man seine Zeit nicht unnütz.
    Aber kommen wir auf unser Thema zurück. Wir kennen einander, gnädige Frau. Nach Rivalto haben wir einander auf der Straße von Cezerbe gesehen. Erinnern Sie sich? Eine lange Straße in der Ebene, eine von jenen, die sich mitten in einem Meer von Feldern ohne Haus und ohne Baum verlieren. Eine weiße, staubige Straße.
    Es war ein Augustnachmittag, ein Nachmittag ohne Bewegung, ohne einen Laut. Ich radelte auf meinem Tandem, ich fuhr Margherita besuchen, die in Trepiani auf Sommerfrische war. Ich radelte allein auf dem Doppelfahrrad, über die Lenkstange gebeugt.
    Plötzlich begegnete ich einem hübschen Mädchen mit weißen Hosen, einer weiten roten Bluse, einem blauen Tuch auf dem Kopf und einer großen blauen Brille, von jenen enormen Brillen, die bei den modernen Mädchen das halbe Gesicht verdecken.
    .Darf ich aufsteigen?“ fragte mich das Mädchen.
    .Steigen Sie nur auf“, antwortete ich und bremste,
    Meine Augen waren geblendet von der Sonne und von der weißen Straße. „Treten Sie, mein Fräulein, ich habe Eile.“ Dann begann ich wieder, auf die Pedale zu drücken.
    Auf einmal wendete ich den Kopf zurück, um dem Mädchen irgend etwas zu sagen.
    Sie hatte die blaue Brille abgenommen, und ich fühlte, wie mir die Luft wegblieb.
    Als ich mich ein zweites Mal umblickte, war das Mädchen verschwunden.
    Das Mädchen waren Sie, gnädige Frau. Und das macht Ihnen keine Ehre. Das sind keine Scherze, die man mit einem braven Manne treibt. Bei Ihrer Stellung wählt man keine so unschickliche Maskerade, um Radfahrer hinters Licht zu führen.
    Wir kennen einander sehr gut, gnädige Frau — ich bleibe dabei, und ich habe meine Gründe dafür. Das letztemal haben wir einander in dieser ungewöhnlichen Stadt Mailand gesehen. Es war eine trübe Novembernacht. Dicke Finsternis, totale Verdunkelung, denn der Himmel war schwarz wie Kohle. Keine Straßenbahn, kein Taxi, kein Autobus. Keine Seele. Die Leute waren schon alle zu Hause, und ich streifte durch die Straßen, behutsam, ohne meinen Weg zu finden.
    Ich wanderte eine Stunde, zwei Stunden, und dann kam plötzlich die Verzweiflung über mich. Ich hatte keine Taschenlampe bei mir, und das letzte Streichholz hatte mir dazu gedient, um das Schild einer unbekannten Straße zu beleuchten.
    Ich
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