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Enthuellungen eines Familienvaters

Enthuellungen eines Familienvaters

Titel: Enthuellungen eines Familienvaters
Autoren: Giovannino Guareschi
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Rücksichtslosigkeit hinzu.
    „Man lebt nur einmal“, antwortete lächelnd mein armer Stockfisch. Letzter Tanz: Walzer von Strauß, Wiedereroberung der Vierzigjährigen. Ich drehte mich wie ein Husar in einem historischen Film. Und Margherita war leicht wie das Phantom meiner Jugend.

Giovannino wird philosophisch

    In meinen sechshundertzehn Kubikmetern von Mailand ist alles still. Die Kinder schlafen und träumen drüben in dem Zimmer, das für die Ruhe der Familie reserviert ist. Die an das große Bett herangerückten Kinderbetten erinnern an die Rettungsboote eines Schiffes, das in einem Meer von Finsternis schwimmt. Margherita näht irgend etwas . Ich sehe zu, wie Margherita irgend etwas näht. „Margherita, ich finde, das ganze Leben ist im Grunde wie ein großes Rad. Der Mensch wird geboren und findet sich an einem großen, unbeweglichen Volant. Zuerst kann er die schwere Masse nicht bewegen, aber er wächst an Jahren und Kräften, und unter dem Antrieb der immer stärker werdenden Arme gerät der Volant allmählich in Bewegung. Das Rad beginnt sich zu drehen, schneller und schneller und immer schneller. Und auf einmal bemerkt der Mensch, daß er nicht mehr anhalten kann, denn jetzt zieht das Rad ihn mit. Er muß sich drehen und drehen, solange das Rad will. Margherita, ich glaube, so ist das Leben.“
    „Du denkst an sonderbare Dinge, Giovannino“, sagt Margherita, ohne die Augen von der Arbeit zu heben. „Du arbeitest den ganzen Tag, und abends ist dein Hirn müde. Du solltest nicht an große Räder und unbewegliche Volants denken; es strengt dich zu sehr an. Denk an leichtere Dinge, denke an dein neues Fahrrad aus Aluminiumlegierung, zehn Kilo, tausenddreihundert Lire, wann hast du je so ein großartiges und leistungsfähiges Fahrrad gehabt?!“
    „Margherita, wie lange ist es her, daß wir zur Entdeckung von Mailand aufgebrochen sind? Margherita, findest du nicht, daß sich nun alles mit äußerster Monotonie wiederholt? Denkst du nie daran?“
    „Nein, Giovannino“, antwortete Margherita. „Ich denke nie daran.“
    „Man müßte die Kraft haben, wieder von vorne anzufangen, Margherita. Alles zurücklassen, wieder abfahren, wie wir gekommen sind, mit vier Reisetaschen und ein paar Lire in der Tasche. In eine andere Stadt gehen und von vorne anfangen.“
    „Und die Kinder zurücklassen!“ lacht Margherita, ohne den Blick von ihrer Arbeit zu erheben. „Sollen wir sie der Hausbesorgerin schenken?“
    Alles ist ruhig in meinen sechshundertzehn Kubikmetern von Mailand.
    „Ich glaube, das Leben ist wie ein großes Rad“, sagt Margherita leise. „Wenn dieses Rad sich in Bewegung gesetzt hat, kann man es nicht mehr anhalten oder in eine andere Richtung laufen lassen.“
    Ich öffne ein Buch und schaue die Worte an, ohne ihren Sinn zu erfassen. Margherita hat ihre Arbeit beendet. Sie steht auf, legt Nadel und Zwirn ins Körbchen zurück, geht zu Bett.
    „Beklage dich nicht, Giovannino“, sagt sie an der Tür. „Du hast ein kleines Leben, das ganz dir gehört, mit so vielen Dingen, die ganz dir gehören. Gute Nacht, Giovannino.“
    Ich habe also so viele Dinge. Ich will heute abend , in meinem Lehnstuhl sitzend, über sie alle Musterung abhalten.
    Ich habe einen Schatten. Einen Schatten, der mir überallhin folgt, der immer bei mir bleibt, auch wenn es undurchdringlich finster ist; denn es genügt, daß ich ein Streichholz anzünde, um ihn wieder neben mir zu sehen.
    Die Leute in dieser ungewöhnlichen Stadt treten ihn mit Füßen; aber im Sommer führe ich ihn auf dem verlassenen Platz spazieren, damit er sich in seiner ganzen Länge auf dem Pflaster ausstrecken , damit er sich ausruhen kann. Ich hüte ihn auch, denn es kann leicht geschehen, daß mein Schatten sich mit irgendeinem anderen vermischt, aber ich habe Vertrauen zu ihm, auch wenn ich ihn tagelang nicht sehe.
    Ein einziges Mal hat er mich verlassen, und ich habe mich plötzlich ohne Schatten gesehen; aber dann ist er gleich wiedergekommen. Es war im Sommer, und der kochend heiße Asphalt hatte ihn ankleben lassen. Aber auch mein Schatten muß mich verlassen. Die Schatten folgen ihren Herren nicht in die Ewigkeit, sie kommen mit in den Sarg und verwesen mit.
    Am Ende bleibt ein Körnchen Staub zurück und der Schatten von einem Körnchen Staub. Dann ist alles aus.
    Die Seelen fliegen allein davon. Ohne Schatten.
    Ich habe einen Schutzengel namens Giacinto. Er ist es noch immer, ich habe ihn damals doch nicht entlassen. Er hat
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