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Enthüllung

Enthüllung

Titel: Enthüllung
Autoren: Michael Crichton
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Sekretärin und einige wenige ihm nahestehende Studenten Zutritt. Seit Friends Abreise war nur ein einziger Student tatsächlich in dem Raum – ein Chemi e student, ein Erstsemester namens Jonathan –«
    »Kaplan«, ergänzte Sanders.
    »Genau. Kennen Sie ihn?«
    »Er ist der Sohn der Chefin. Stephanie Kaplan ist gerade zur neuen Vizedirektorin ernannt worden.«
    Fernandez schwieg einen Augenblick. Dann sagte sie: »Das muß eine ganz außergewöhnliche Frau sein.«

    G arvin vereinbarte mit Fernandez ein Treffen, das im Four Seasons Hotel stattfand. Am hellichten Nachmittag saßen die beiden in der kleinen, dunklen Bar an der Fourth Avenue.
    »Sie haben Unglaubliches geleistet, Louise«, begann Garvin, »und trotzdem der Gerechtigkeit keinen Dienst erwiesen, das kann ich Ihnen sagen. Eine unschuldige Frau hat anstelle eines gerissenen, intriganten Mannes die Schuld auf sich genommen.«
    »Ich bitte Sie, Bob!« sagte Fernandez. »Haben Sie mich deshalb hierherbeordert? Um sich auszuweinen?«
    »Ich meine es ernst, Louise – das Thema sexuelle Belästigung ist völlig aus dem Ruder gelaufen. Ich kenne keine einzige Firma mehr, in der es nicht im Augenblick um mindestens ein Dutzend solcher Fälle geht. Wo soll das denn enden?«
    »Ich mache mir da keine Sorgen«, erwiderte sie. »Das wird sich wieder geben.«
    »Irgendwann mal, ja. Aber bis es soweit ist, müssen unschu l dige Menschen –«
    »In meinem Beruf bekommt man nicht gerade viele unschu l dige Menschen zu Gesicht. Mir ist, beispielsweise, berichtet worden, daß die Verwaltungsratsmitglieder von DigiCom bereits vor einem Jahr über Johnsons Problem Bescheid wußten und nichts unternommen haben.«
    »Wer hat Ihnen das erzählt?« fragte Garvin mit nervösem Blinzeln. »Das stimmt überhaupt nicht.«
    Fernandez schwieg.
    »Und Sie hätten es nie beweisen können.«
    Wieder entgegnete Fernandez nichts; sie hob nur leicht die Augenbrauen.
    »Wer hat Ihnen das erzählt?« wiederholte Garvin. »Ich möchte es wissen!«
    »Hören Sie zu, Bob«, sagte Fernandez. »Es ist doch eine Tatsache, daß es ein bestimmtes Verhalten gibt, das niemand mehr zu entschuldigen bereit ist: der Vorgesetzte, der Genitalien begrapscht, der im Aufzug auf Tuchfühlung geht, der eine Sekretärin zu einer Geschäftsreise einlädt, aber nur ein Hote l zimmer bucht. Diese Zeiten liegen doch nun wirklich hinter uns. Wenn sich einer Ihrer Angestellten so benimmt, egal ob es sich um einen Mann oder eine Frau, um einen Schwulen oder um einen Hetero handelt, sind Sie als Vorgesetzter ganz einfach verpflichtet, diesem Treiben ein Ende zu setzen.«
    »Gut, einverstanden, aber manchmal weiß man eben nicht genau, ob –«
    »Stimmt. Und es gibt das andere Extrem. Einer Angestellten gefällt irgendeine geschmacklose Bemerkung ihres Chefs nicht, sie erstattet Anzeige. Dann muß ihr jemand beibringen, daß es sich nicht um sexuelle Belästigung handelt, aber ihr Chef sieht sich bereits mit dem Vorwurf konfrontiert, und alle Mitarbeiter der Firma wissen Bescheid. Er weigert sich, weiter mit ihr zusammenzuarbeiten; jeder verdächtigt jeden, es gibt böses Blut, in der ganzen Firma gerät einiges durcheinander. Mit solchen Fällen habe ich es sehr oft zu tun. Auch das ist beda u erlich. Ich erzähle Ihnen ein Beispiel. Wissen Sie, mein Mann arbeitet in derselben Sozietät wie ich.«
    »Aha.«
    »Nachdem wir uns kennengelernt hatten, bat er mich fünfmal, mit ihm auszugehen. Zuerst sagte ich immer nein, aber dann erklärte ich mich doch einverstanden. Wir sind inzwischen glücklich miteinander verheiratet. Und vor kurzem sagte er zu mir, bei der Atmosphäre, die heutzutage in solchen Dingen herrscht, hätte er mich wahrscheinlich nicht fünfmal gefragt, sondern das Ganze einfach vergessen.«
    »Sehen Sie? Genau das wollte ich damit sagen!«
    »Ich weiß. Aber solche Situationen werden im Lauf der Zeit von selbst verschwinden. In ein, zwei Jahren wird jeder die neuen Regeln kennen.«
    »Ja, aber –«
    »Aber das Problem ist, daß es noch eine dritte Kategorie gibt, irgend etwas in der Mitte zwischen den beiden Extremen. Eine Art Grauzone, in der nie ganz klar ist, was wirklich passiert ist und wer wem was angetan hat. In diese Kategorie fallen die meisten Klagen, mit denen wir es zu tun haben. Bis jetzt tendiert die Gesellschaft dazu, sich auf die Problematik des Opfers zu konzentrieren, nicht auf die des oder der Beschuldigten. Aber auch die Beschuldigten haben Probleme. Eine Klage wegen sexueller
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