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Enthuellung

Enthuellung

Titel: Enthuellung
Autoren: Lisa Renee Jones
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geschworen hatte, es nicht zu tun, ihn nicht wegzustoßen. Nicht w
egzurennen
, korrigiere ich mich im Geiste und denke an die Worte, die Chris ziemlich oft benutzt hat, um mein Verhalten vorauszusagen.
    Ein Knacken durchdringt die unheimliche Stille, und das ist wahrlich beängstigender als Chris’ Schweigen. Ich bemühe mich vergebens, das Geräusch zu identifizieren. Oh ja, in der Tat, es war verdammt dumm, dass ich allein hergekommen bin. Und obwohl ich mir gern einrede, dass ich nur hin und wieder ein bisschen dumm bin, beweist die heutige Nacht, dass ich, wenn ich schon etwas Dämliches anstelle, es in großem Stil tue.
    Ich wage nicht, mich zu bewegen, geschweige denn zu atmen. Dennoch kann ich ein leises, raues Keuchen hören und begreife entsetzt, dass es nicht von mir kommt. Ich versuche, mich zu zwingen, keinen Laut von mir zu geben, aber es funktioniert nicht. Mein Hals ist wie zugeschnürt, und es fällt mir immer schwerer, Atem zu holen. Ich brauche Luft. Ich brauche sie verzweifelt. Ich glaube, ich hyperventiliere. Ja. Das ist es.
    Ich erinnere mich, das gleiche Gefühl schon einmal gehabt zu haben – als ob mein Körper fremdgesteuert ist. Es war der Moment, in dem mein Arzt vor fünf Jahren das Krankenhauszimmer meiner Mutter verlassen und mir gesagt hat, dass sie tot sei. Obwohl ich weiß, was mit mir passiert, atme ich weiter flach und keuchend. Ich bin überzeugt, dass meine Atemzüge verraten, wo ich mich befinde. Ich verstehe nicht, wie ich wissen kann, was mit mir geschieht, und trotzdem außerstande bin, es zu verhindern.
    Irgendwie stehe ich, aber ich erinnere mich nicht daran, mich aufgerichtet zu haben. Papiere, an die ich mich ebenfalls nicht erinnere, rutschen mir aus der Hand. Panik steigt in mir auf und sagt mir, dass ich schreien und wegrennen sollte. So drängend und klar ist dieses Kämpfen-oder-Fliehen-Gefühl, dass ich einen Schritt vorwärts mache, aber ein weiterer Knacklaut lässt mich erstarren. Mein Blick huscht zur Tür, und ich versuche, die Dunkelheit mit den Augen zu durchdringen. Doch da ist nichts als dieses tiefe, schwarze Loch, das mich zu verschlingen droht. Wieder dieses Knacken. Was ist das für ein Geräusch? Noch ein Laut – das Schlurfen eines Fußes, denke ich – dringt von der Tür an mein Ohr. Adrenalin rast durch meine Adern, und ich denke nicht bewusst, ich handle nur.
    Ich hechte durch den Raum, in eine Richtung, von der ich annehme, dass sie frei von Hindernissen ist. Tür, Tür, Tür! Ich muss zur Tür. Wo ist die verdammte Tür?
    Meine Finger greifen ins Leere und dann noch mal, bis sie endlich auf kalten Stahl treffen und Erleichterung mich durchflutet, während ich die Tür zuknalle. Ich stemme die Hände gegen das Metall. Was jetzt? Was jetzt?
Verschließ die Tür!
    Aber ich kann nicht. Die Realität trifft mich mit Macht. Das Schloss ist außen, und – oh Gott – wer immer draußen ist, könnte mich einschließen. Oder … wenn nun die Person, die ich auf dem Gang gespürt habe, schon hereingekommen ist?
    Bei dem Gedanken wirbele ich herum und presse mich gegen die Tür. Mir fällt ein, dass ich mein Handy in der Jackentasche habe; ich versuche es zu ertasten. Ich kann nichts sehen. Ich kann nicht einmal klar denken. Wie ist es möglich, dass ich bisher nicht an mein Handy gedacht habe? Als ich es endlich habe, rutscht es mir aus der Hand und landet auf dem Boden. Hektisch lasse ich mich auf alle viere hinab, um danach zu tasten, und bin erleichtert, als sich meine Finger um das Plastikgehäuse schließen. Doch ich bin viel zu fahrig, um die Tastensperre aufzuheben.
    Ich springe auf, voller Angst, dass ich erstochen werde, während ich zu wählen versuche – und diesmal hindert nichts meine Flucht. Wegrennen mag eine weitere dumme Idee sein, aber in dieser Situation fühlt es sich auch verdammt dumm an, nicht wegzurennen. Ich reiße die Tür auf, noch mehr Dunkelheit begrüßt mich, aber es ist mir egal. Ich renne los und bete, dass ich nicht der Person in die Arme laufe, die mit mir in der Lagerhalle ist, oder über meine eigenen Füße in das schwarze Loch falle, das mich umgibt.
    Ich will nur raus. Raus. Raus. Raus. Das ist alles, woran ich denken kann. Das ist es, was mich auf direktem Wege auf den Ausgang zutreibt. Ich bin ein Bündel aus Furcht und Adrenalin, und jede Vernunft, die ich noch Sekunden zuvor zusammenraffen konnte, ist ausgelöscht.
    Ich suche nach dem Ausgang, nach Licht, aber die Außentür ist jetzt geschlossen, und ich
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