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Entführt: Die Abenteuer des David Balfour I (Spannend erzählt) (German Edition)

Entführt: Die Abenteuer des David Balfour I (Spannend erzählt) (German Edition)

Titel: Entführt: Die Abenteuer des David Balfour I (Spannend erzählt) (German Edition)
Autoren: Robert Louis Stevenson
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ständige Vernachlässigung hatten gründliche Arbeit geleistet. Von den Fensterscheiben waren viele zerbrochen, wie übrigens fast alle im Hause: mein Oheim mußte offenbar irgendwann von seinen erbosten Nachbarn belagert worden sein – vielleicht war Jennet Clouston die Anführerin gewesen. –
    Draußen war inzwischen die Sonne aufgegangen, und da es in dem verwahrlosten Zimmer sehr kalt war, hämmerte ich gegen die Tür und schrie, bis mein Gefängniswärter kam und mich herausließ. Er führte mich zum rückwärtigen Teil des Hauses, zu einem Ziehbrunnen im Hof und forderte mich auf, mir das Gesicht zu waschen, wenn ich Lust dazu hätte. Nachdem ich das getan, suchte ich, so gut es ging, den Weg zurück in die Küche, wo der Hausherr inzwischen Feuer gemacht und die Hafersuppe gekocht hatte. Auf dem Tisch standen zwei Näpfe, und daneben lagen zwei Hornlöffel, aber nur ein Becher Dünnbier stand bereit. Ruhte nun mein Blick besonders erstaunt darauf, oder bemerkte es mein Oheim, denn mit seinen nächsten Worten schien er meine Gedanken zu beantworten; er fragte mich, ob ich auch Bier trinken wolle.
    Das sei ich allerdings so gewohnt, meinte ich, er solle sich aber keine Umstände machen.
    »Doch, doch«, sagte er, »ich gönne dir alles, was rechtens ist.«
    Er holte ein zweites Trinkgefäß vom Wandbord, und dann goß er zu meiner großen Verwunderung, anstatt mehr Bier abzuzapfen, genau die Hälfte seines Getränks in meinen Becher. Er tat das mit einer Würde, die mir den Atem benahm. Mein Oheim war zweifellos ein Geizhals, aber einer von der Sorte, die durch ihre Gründlichkeit dieses Laster nahezu in eine Tugend verwandeln.
    Sobald wir unseren Morgenimbiß beendet hatten, schloß Oheim Ebenezer eine Schublade auf, brachte eine Tonpfeife und ein wenig Tabak zum Vorschein, schnitt ein Eckchen davon ab, tat den Rest zurück und verschloß die Lade wieder. Dann setzte er sich an eines der Fenster in die Sonne und schmauchte stumm seine Pfeife. Von Zeit zu Zeit wanderten seine Blicke zu mir, und er stellte kurze Fragen. Einmal wollte er wissen: »Was ist mit deiner Mutter?«
    Und als ich ihm erwiderte, sie sei ebenfalls gestorben, bemerkte er: »Ach, sie war ein braves Ding.«
    Dann wieder nach längerer Pause: »Was für Freunde sind das, von denen du mir erzählt hast?«
    Ich berichtete, es seien zwei Herren namens Campbell, obwohl ja nur der Geistliche dieses Namens sich je um mich gekümmert hatte. Aber ich meinte, mein Oheim glaube mich von aller Welt verlassen, und jetzt, wo ich ihm allein ausgeliefert war, sollte er mich nicht für ganz hilflos halten.
    Er schien über meine Antwort nachzusinnen. Dann sagte er: »Davie, mein Junge, du hast recht getan, deinen Oheim Ebenezer aufzusuchen. Die Familie bedeutet mir allerhand, und ich bin entschlossen, an dir meine Pflicht zu tun. Aber wenn ich mir jetzt überlege, welcher Beruf der beste für dich wäre, der des Advokaten oder der Geistlichenstand, vielleicht auch der Heeresdienst, den junges Volk wohl am meisten liebt, möchte ich doch nicht, daß ein Balfour sich vor den Hochland-Campbells erniedrigt. Darum laß dir gesagt sein, lerne den Mund halten. Keine Briefe, keine Botschaften, keine Verbindung, mit wem es auch sei, sonst ... da ist die Tür!«
    »Ohm Ebenezer«, rief ich, »ich habe keinen Grund anzunehmen, daß Ihr es, nicht gut mit mir meint, aber Ihr sollt dennoch wissen, daß ich auch meinen Stolz habe. Es war nicht mein Wille, Euch aufzusuchen, und wenn Ihr mir die Tür weist, gut, dann gehe ich wieder.«
    Nun schien er sehr aufgebracht.
    »Schnickschnack, Schnickschnack«, schrie er, »hüte dich, Bursche, ich bin kein Hexenmeister und kann dir deine Zukunft nicht aus dem Breinapf weissagen, kann dir auch keinen Schatz herbeizaubern. Laß mir ein, zwei Tage Zeit, sprich mit keinem Menschen, und so gewiß, wie ich hier vor dir sitze, wird das Richtige mir schon einfallen.«
    »Gut«, sagte ich, »genug der Worte, wenn Ihr mir beistehen wollt, freue ich mich sehr und werde Euch gewiß dankbar sein.«
    Es schien mir – leider, wie ich bald merken sollte, etwas verfrüht –, daß ich mit meinem Oheim ganz gut fertig würde. Als nächstes sagte ich zu ihm, meine Betten müßten gelüftet und zum Trocknen in die Sonne gelegt werden, denn in einer solchen Pökellake könne ich nicht schlafen.
    »Ist dies mein Haus oder deines?« fragte er barsch, stockte aber ganz plötzlich. »Nein, nein«, fuhr er fort, »so habe ich das nicht gemeint. Was mein
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