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Entführt: Die Abenteuer des David Balfour I (Spannend erzählt) (German Edition)

Entführt: Die Abenteuer des David Balfour I (Spannend erzählt) (German Edition)

Titel: Entführt: Die Abenteuer des David Balfour I (Spannend erzählt) (German Edition)
Autoren: Robert Louis Stevenson
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brauchst du nur den Zweitagemarsch hierher zurückzumachen und an die Tür des Pfarrhauses zu pochen. Ich möchte allerdings hoffen, daß du gut aufgenommen wirst; denn wie dein lieber Vater es vorhergesagt hat und so, wie ich dich kenne, hast du das Zeug, eines Tages ein bedeutender Mann zu werden. Und jetzt, Davie, Junge«, fuhr der Pfarrer fort, »halte ich es für meine Pflicht, und mein Gewissen treibt mich dazu, dich, ehe wir uns trennen, vor den Gefahren dieser Welt zu warnen.«
    Während er sprach, sah er sich nach einer bequemen Sitzgelegenheit um. Sein Blick fiel auf einen flachen glatten Felsblock unter einer Birke neben dem Fahrweg. Er setzte sich und bekam ein ernstes, nachdenkliches Gesicht.
    Zwischen zwei Baumwipfeln strahlte die Sonne auf uns herab; Mr. Campbell legte das Taschentuch schützend über seinen Dreispitz. Mit erhobenem Zeigefinger warnte er mich nun zuerst vor allerlei Irrlehren und Ketzereien, die mich aber in keiner Weise verlockt hätten. Dann beschwor er mich, ja mein tägliches Gebet und das Lesen in der Bibel nicht zu versäumen. Danach entwarf er ein Bild des großen und vornehmen Hauses, das mich aufnehmen würde, und wies mich an, wie ich mich seinen Bewohnern gegenüber verhalten sollte.
    »In nebensächlichen Dingen sei nachgiebig, Davie«, sagte er. »Vergiß nie, daß du, obwohl adlig geboren, einfach und ländlich erzogen wurdest. Mach uns keine Schande, Davie, mach uns ja keine Schande. In dem großen und feinen Hause mit seinen vielen Bediensteten, höheren und niederen, mußt du so willig, so umsichtig, so flink und so schweigsam wie möglich sein. Und was den Gutsherren selber anbelangt, bedenke, er ist der Laird 1 . Mehr brauche ich dir nicht zu sagen Ehre, wem Ehre gebührt. Einem Gutsherrn zu gehorchen ist eine Freude oder sollte es wenigstens für junge Leute sein.«
    »Nun, Sir«, sagte ich, »das ist gewiß richtig, und ich verspreche Euch, es auch so zu halten.«
    »Brav so, Junge«, rief Mr. Campbell erfreut, »und jetzt zu dem Wesentlichen oder, besser, zum Unwesentlichen. Hier habe ich ein Päckchen, das vier Dinge enthält.«
    Während er sprach, zerrte er es mit einiger Mühe aus der Tasche seines Überrocks und fuhrt fort: »Erstens enthält es das, was dir von Rechts wegen zukommt: einen Sparpfennig aus dem Erlös für die Bücher und den Hausrat deines Vaters, Dinge, die ich zuerst erstanden habe und die ich mit einigem Gewinn an den neuen Schulmeister weitergeben würde. Das übrige sind kleine Gaben, die meine Frau und ich dir zugedacht haben; wir würden uns freuen, wenn du sie annehmen wolltest. Das eine ist rund, und es wird dir wohl auf den ersten Blick am besten gefallen. Ach, Davie, Junge, es ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein; es wird dir einen Schritt weiterhelfen und dann vergehen wie ein schöner Morgen. Das – zweite es ist flach und viereckig, und darauf steht etwas Geschriebenes – soll dir das ganze Leben hindurch helfend beistehen wie ein Stecken auf der Wanderschaft, und es möge dir in Krankheitstagen ein weiches Ruhekissen sein. Und dann das dritte – es ist würfelförmig, und es soll dich, wie ich wünsche und hoffe, in ein besseres Jenseits führen.«
    Nach diesen Worten stand Mr. Campbell auf, nahm den Hut ab und sprach laut ein inniges Gebet für einen jungen Menschen, der im Begriff steht, in die Welt hinauszuziehen. Plötzlich zog er mich in seine Arme, preßte mich fest an sich, hielt mich dann auf Armeslänge von sich ab und musterte mich kummervoll, während es in seinen Zügen heftig arbeitete. Darauf wandte er sich hastig um, rief mir ein Lebewohl zu und entfernte sich rasch auf dem Wege, den wir eben gemeinsam gekommen waren; er ging nicht, er rannte fast. Ein anderer hätte das vielleicht als lächerlich empfunden, aber mir war nicht nach Lachen zumute. Ich blickte ihm nach, solange er zu sehen war. Er trabte unbeirrt weiter und sah sich nicht ein einziges Mal nach mir um. Da wurde mir klar, wie traurig er über mein Fortgehen sein mußte, und ich bekam arge Gewissensbisse, weil ich so erleichtert war, aus diesem langweiligen ländlichen Nest herauszukommen, mit der Aussicht, ein Heim in einem großen lebhaften Hause zu finden, unter reichen, vornehmen und geachteten Leuten, die meinen Namen trugen und meines Blutes waren.
    Davie, Davie, dachte ich, hat man je so schwarzen Undank erlebt? Wie kannst du nur deine alten Freunde und ihre Wohltaten so im Handumdrehen vergessen, nur weil ein gewisser Name gefallen ist?
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