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Entführt: Die Abenteuer des David Balfour I (Spannend erzählt) (German Edition)

Entführt: Die Abenteuer des David Balfour I (Spannend erzählt) (German Edition)

Titel: Entführt: Die Abenteuer des David Balfour I (Spannend erzählt) (German Edition)
Autoren: Robert Louis Stevenson
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Pfui, schäme dich doch.
    Ich nahm auf dem Stein Platz, auf dem eben noch der Geistliche gesessen hatte, und öffnete das Päckchen, um mir seine Gaben anzusehen. Das, was er als würfelförmig bezeichnet hatte, war, wie ich mir schon gedacht, eine kleine Bibel, die man im Mantelsack stets bei sich tragen konnte. Das, was er rund genannt hatte, war eine Münze, ein blanker Shilling, und das, was mir in gesunden und kranken Tagen eine stete Hilfe sein sollte, war ein kleines gelbliches Stück Papier, auf dem in roter Tinte geschrieben stand:
    »Wie man aus Maiglöckchen ein Destillat brauen kann.
    Nimm Maiglöckchenblüten, presse sie in einem Säckchen aus und trinke nach Bedarf ein oder zwei Löffel voll davon. Menschen, denen der Schlagfluß die Sprache verschlagen hat, werden sie dadurch wiederfinden. Es hilft auch gegen Gicht; es beruhigt das Herz und kräftigt das Denkvermögen. Die Blüten, in eine Flasche getan, die man einen Monat lang in einen Ameisenhaufen stellt und die dann fest verkorkt wird, ergeben eine Flüssigkeit, die sich, in einer Phiole aufbewahrt, lange Zeit hält und die für Gesunde und Kranke, für Männer und Frauen heilsam ist.«
    In seiner Handschrift hatte der Geistliche hinzugefügt: »Auch bei Verrenkungen zum Einreiben verwendbar und bei Koliken jede Stunde einen Löffel voll einzunehmen.«
    Natürlich lachte ich darüber, aber es war kein herzhaftes Lachen, und ich mußte die Tränen zurückhalten. Ich war froh, als ich mein Bündel an dem Stock befestigt und es geschultert hatte; dann ging’s durch die Furt und auf der gegenüberliegenden Seite einen Hügel hinan. Als ich zu dem breiten grasbewachsenen Fahrweg zwischen dem Heidekraut kam, warf ich noch einen letzten Blick auf das Kirchspiel von Essendean, auf die Bäume, die mir das Pfarrhaus verbargen, und auf die hohen Ebereschen des Friedhofes, auf dem mein Vater und meine Mutter begraben waren.
    1 Laird – schottische Bezeichnung für einen Großgrundbesitzer

II. Die grosse Reise geht ihrem Ende entgegen
    Als ich am Vormittag des zweiten Tages den Gipfel eines Berges erreichte, sah ich vor mir die sanft abfallende Ebene, die sich bis zum Meeresstrand hinabsenkte. Auf halbem Wege, bergab, lag die Stadt Edinburgh, die wie ein Kohlenmeiler rauchte. Auf dem Schloßturm wehte eine Fahne, und in der Bucht Firth of Forth lagen Schiffe vor Anker oder fuhren ein und aus. Das alles konnte ich, obwohl die Entfernung groß war, deutlich erkennen; und mein Herz, das Herz einer Landratte, schlug höher.
    Bald darauf kam ich an einem Hause vorbei, in dem ein Hirte wohnte, und von ihm ließ ich mir den Weg nach Cramond so ungefähr beschreiben. Ich fragte mich durch und gelangte in westlicher Richtung über die Ortschaft Colinton bis zu der nach Glasgow führenden Landstraße. Dort erblickte ich zu meiner großen Freude ein Hochländerregiment, das zu den Klängen der Querpfeifen im Takt marschierte. Ein alter General mit stark gerötetem Gesicht ritt auf einem grauen Pferd voran, hinterdrein kam eine Abteilung Grenadiere; ihre hohen Mützen sahen aus wie Mitren. Beim Anblick der Rotröcke und beim Klang der munteren Weisen wurde ich ganz stolz und hochgemut.
    Noch ein Stückchen weiter, und schon hieß es, ich sei hier bereits im Kirchspiel von Cramond. Wenn ich mich jetzt nach dem Weg erkundigte, begann ich nach dem Hause der Shaws zu fragen. Die Nennung dieses Namens schien die Befragten zu befremden. Zuerst dachte ich, meine schlichte ländliche Kleidung, die zudem über und über mit Straßenstaub bedeckt war, passe schlecht zu dem großartigen Herrenhaus, dem ich zustrebte. Doch nachdem mich zwei oder auch drei Leute auf die gleiche erstaunliche Weise gemustert und ebenso zögernd geantwortet hatten, kam mir in den Sinn, es müsse mit den Shaws irgend etwas nicht stimmen.
    Um mir Gewißheit zu verschaffen, beschloß ich, meine Frage anders zu stellen. Als ich daher einen anständig aussehenden Burschen mit seinem Gespann, auf der Deichsel reitend, herankommen sah, fragte ich ihn, ob er wohl von einem Haus gehört habe, das das Haus der Shaws genannt werde.
    »O ja, weshalb willst du das wissen?« forschte er.
    »Ist es ein großes Haus?« fragte ich.
    »Ja, das ist es, ohne Zweifel ist es ein großes Haus, aber es ist verwahrlost«, lautete die Antwort.
    »Nun gut, und die Leute, die darin wohnen?«
    »Leute?« wiederholte er. »Du bist wohl närrisch, Leute gibt es in dem Hause nicht – wenigstens nicht das, was man sonst darunter
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