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Entführt: Die Abenteuer des David Balfour I (Spannend erzählt) (German Edition)

Entführt: Die Abenteuer des David Balfour I (Spannend erzählt) (German Edition)

Titel: Entführt: Die Abenteuer des David Balfour I (Spannend erzählt) (German Edition)
Autoren: Robert Louis Stevenson
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versteht.«
    »Wie meint Ihr das?« fragte ich erstaunt, »lebt dort nicht Mr. Ebenezer?«
    »Ja gewiß«, sagte der Mann. »Der Laird wohnt dort, wenn du den meinst. Was willst du denn von ihm, Kleiner?«
    »Man hat mir gesagt«, erwiderte ich und versuchte recht bescheiden auszusehen, »ich könnte bei ihm eine Stellung finden.«
    »Was willst du?« rief der Fuhrmann mit so scharfer Stimme, daß sein Gaul erschrak und einen großen Satz machte. Dann fügte er jedoch begütigend hinzu: »Nun, Bürschlein, mich geht’s nichts an; du siehst aber rechtschaffen aus, und wenn du einen Rat von mir haben willst, dann laß die Finger von den Shaws.«
    Der nächste, der mir über den Weg lief, war ein adrett gekleideter kleiner Mann mit einer weißen Perücke. Er mochte wohl der Barbier des Ortes sein, denn vor seinem Laden baumelten runde Messingschalen. Da ich wußte, daß Barbiere meist schwatzhafte Leute sind, fragte ich ihn unverblümt, was für ein Mensch Mr. Balfour of Shaws eigentlich sei.
    »Pfui Deibel«, schrie er, »der ist überhaupt kein Mensch, muß ich Euch sagen«, und dann fragte er mich ziemlich verschmitzt, was ich denn mit dem Haus der Shaws im Sinn hätte. Aber ich war ihm mehr als gewachsen, und er wandte sich seinem Kunden zu, ohne viel schlauer zu sein als vorher.
    Es läßt sich kaum beschreiben, wie schwer mich dieser Schlag traf und wie er meine Hoffnungen zerstörte. Je unklarer die Anschuldigungen waren, desto stärker beunruhigten sie mich, weil sie der Einbildung zuviel Spielraum gaben. Was für ein Herrenhaus war das, daß jeder im Kirchspiel, der danach gefragt wurde, erschrak und mich so seltsam anstarrte? Was für ein Mensch war dieser Gutsherr, daß jeder Vorübergehende seinen schlechten Ruf zu kennen schien?
    Hätte der Weg nach Essendean nur eine Stunde gedauert, so hätte ich auf der Stelle meine Abenteuerlust begraben und wäre zu Mr. Campbell zurückgekehrt. Da ich aber von so weit hergekommen war, schämte ich mich, die Sache einfach aufzugeben, ohne ihr vorher auf den Grund gegangen zu sein. Meine Selbstachtung gebot mir standzuhalten, und so wenig mir das, was ich gehört hatte, gefallen wollte und so zögernd ich auch weiterging, ich fragte doch immer wieder nach dem Weg und schritt unbeirrt vorwärts.
    Die Sonne begann schon unterzugehen, da begegnete ich einer dicken, grämlich aussehenden schwarzhaarigen Frau, die sich mühselig den Berg herunterschleppte. Als ich ihr die üblichen Fragen stellte, fuhr sie auf dem Absatz herum, zog mich mit sich zu dem Gipfel hinauf, von dem sie eben gekommen war, und wies von dort auf ein massiges Bauwerk, das an einer baumlosen Stelle in der Talsenke aus den Wiesen aufragte. Die weitere Umgebung, mit niedrigen bewaldeten Hügeln und von Wasserläufen durchzogen, war recht anmutig. Soweit ich das beurteilen konnte, versprachen die Äcker ringsum eine gute Ernte. Aber das Haus sah eher wie eine Ruine aus. Es schien auch kein Weg zu dem Gebäude zu führen, und aus den Schornsteinen stieg kein Rauch auf. Nichts war zu entdecken, das wie ein Garten ausgesehen hätte.
    Das Herz fiel mir in die Hosen.
    »Das ist das Haus der Shaws?« rief ich.
    Das Gesicht der Frau bekam einen boshaften Ausdruck.
    »Ja, das ist das Haus der Shaws«, erwiderte sie. »Mit Blut wurde es aufgebaut. Blut hat den Bau unterbrochen, und Blut soll es in Trümmer legen. Ich spucke darauf. Ich verfluche es. Wenn du den Laird siehst, wiederhole ihm, was ich dir sage: Zum zwölfhundertundneunzehnten Male hat Jennet Clouston ihn verflucht, ihn und sein Haus, seine Scheuern, seine Ställe, sein Vieh, sein Weib, seine Kinder. Furchtbar, furchtbar soll ihr Ende sein!«
    Und das Weib, dessen Stimme zu einem unheimlichen Haßgesang angeschwollen war, wandte sich plötzlich von mir ab und war ebenso plötzlich verschwunden. Ich blieb mit gesträubten Haaren zurück.
    Damals glaubten die Menschen noch an Hexen und fürchteten solche Verwünschungen. Die lästerlichen Worte des alten Weibes hatten mich in diesem Augenblick wie ein böses Vorzeichen getroffen. Ich blieb unschlüssig stehen und merkte, wie mir die Knie weich wurden.
    Schließlich setzte ich mich und blickte ins Tal hinab auf das Haus der Shaws. Je länger ich Umschau hielt, desto freundlicher erschien mir die Umgebung. Überall auf den Feldern leuchteten blühende Weißdornbüsche. Wie kleine helle Punkte bewegten sich ungezählte Schafe über die Wiesen. Ein Schwarm Saatkrähen flatterte darüber hin. Das alles waren
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