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Engelsstern

Engelsstern

Titel: Engelsstern
Autoren: Jennifer Murgia
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zu entziehen. Ich habe meine Schuldgefühle zumindest bis zu einem gewissen Grad hinter mir gelassen, weil Schuldgefühle Gift sind.
    Aber jetzt bin ich still. Ich lasse meine Gedanken nicht an die Oberfläche treiben. Ich drücke sie weg, damit sie ertrinken und verschwinden.
    Garreth beobachtet mein Gesicht genau. »W o bist du gerade?«
    Ich sehe ihn an, weiß nicht, was ich sagen soll. »Ich brabbele immer noch. Du kannst es nur nicht hören.«
    Ich lächele und werfe einen Blick auf den Kalenderauf dem Schreibtisch. Ein alberner kleiner Aufstellkalender mit einer felllosen Katze darauf, ein Mitbringsel von Mom. Wie gesagt: albern. Heute habe ich Geburtstag. Achter August. Nur scheint mir das dieses Jahr … nicht komisch, nicht besonders, nur anders. Wenn die Zahl Acht keine Bedeutung hätte, würde das Datum mir nicht auffallen. Aber sie fällt ins Auge. Doppelt. Zwei Achten, 8 .  8 .. Eine für Garreth, eine für Hadrian. Für Anfang oder Ende, aber ich will nicht darüber nachdenken, was gemeint ist.
    »Herzlichen Glückwunsch.« Garreth lässt den blauen Rosenkranz vor meiner Nase baumeln, ihn in meine Hand gleiten und küsst mich sanft. Die Kette legt mein Zeichen nach, in Wellen und Kurven. Das passt perfekt.
    »Keine große Überraschung, aber das ist zufällig das einzig Wertvolle, was ich dir geben kann.« Seine Augen sagen mir, dass er nicht sicher ist, ob ich den Wert ermessen kann, aber das Geschenk bedeutet mir mehr, als ich sagen kann.
    »Ich liebe ihn. Er ist wunderschön.« Ich betrachte die zierliche Kette, die schimmernden Steine, die die gleiche Farbe haben wie seine Augen. Das perfekte Geschenk.
    Seine Hand, die sein Geheimnis enthält – seinen Engelsstern –, wölbt sich um meine, und wir halten zusammen die Kette.
    »W ie du. Wunderschön. Einzigartig. Wertvoll. Zerbrechlich und gleichzeitig sehr stark.«
    »Danke.«
    Er stellt sich vor mich und zieht mich auf die Füße. Jetzt bin ich wach.
    Garreth hat mir ein richtiges Date versprochen. Als eine Art Geburtstagsgeschenk. Abendessen, Kerzen … das ganze Drumherum.
    Und alles läuft wie am Schnürchen. Der Abend könnte nicht perfekter sein.
    »Tust du mir einen Gefallen?«, frage ich Garreth auf dem Nachhauseweg. Ich weiß nicht, warum, aber ich muss noch mal dorthin.
    Ich stehe am Fuß der Treppe in die Kapelle und blicke über die Reste der eingefallenen Wand, die jetzt in vielen grünen Facetten bewachsen ist. Erstaunlich, wie sich etwas in kurzer Zeit verändern kann, wenn man es sich selbst überlässt. Bei dem Schaden, den das Feuer angerichtet hat, ist es erstaunlich, dass überhaupt was wächst. Aber wo Leben entstehen und die Ketten des Chaos zerreißen will, lässt es sich nicht aufhalten. Es geht immer weiter.
    Ich denke an die wunderschönen bunten Glasdreiecke und die roten Kerzen innen. Ich denke daran, wie es war, als ich zum ersten Mal mit Garreth hier war. Jeder normale Mensch, der hier zufällig vorbeikommt, würde denken, dass die Zeit ihren Tribut gefordert hat. Er würde nicht ahnen, was sich hier abgespielt hat, und das ist auch gut so. Es ist nicht nötig. Niemand muss wissen, dass in einem einzigen Augenblick alles hätte anders kommen können. Besser, die Spuren werden verdeckt und von der Zeit ausgelöscht.
    Eine Ruine wie jede andere.
    Nur, dass ich hier meinen Engel kennengelernt habe. Hier hat er mich vor Hadrian gewarnt, hier habe ich die Wahrheit über meinen Vater erfahren – über mich selbst. Ich sehe meine Hand an und ziehe das Zeichen mit dem Finger nach. Es verblasst und wird unsichtbar – einstweilen.
    Ich lasse es oft verschwinden und wieder erscheinen, jetzt sehe ich zu, wie die Linien mit den Falten in meiner Hand verschmelzen. Auf meinem Rücken zwischen den Schulterblättern spüre ich ein leichtes Kribbeln. Etwas kündigt sich an, und ich lächle. Aber jetzt und hier ruft das Glück, und ich gehe auf meinen Engel zu. Jetzt und hier ist er immer noch mein Engel, egal, wie menschlich er aussieht. Ich denke daran, was er für mich aufgibt, welches Risiko er auf sich nimmt, um bleiben zu können. Früher hat ihm das Angst gemacht, aber nicht genug, um uns zu trennen. Es wäre beängstigender, das Risiko nicht einzugehen und das Allerwichtigste zu verlieren.
    Ein Mensch zu sein und danach zu streben, ein besserer Mensch zu werden, ist schon erstaunlich. Aber ein Engel zu sein, der ein Mensch werden will – das ist ein Wunder.
    Mehr kann ich gar nicht wollen.
    Meine Gedanken werden jäh
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