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Engelsstern

Engelsstern

Titel: Engelsstern
Autoren: Jennifer Murgia
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ich nach ihm fragen würde und wissen wollte, warum alles so war, wie es war. Er war einfach weg. Ende, aus. Andere Kinder hatten beide Eltern. Ich hatte Mom. Das lief gut. Wir wurden durch eine Art Gummiband zusammengehalten. Eben beste Freundinnen, dann wieder Mutter und Tochter. Am Ende verschränkte sie die Arme und grollte, ich rollte mit den Augen, und das Gummiband zog uns wieder zusammen.
    Aber als ich älter wurde, habe ich mich ab und zu gefragt, ob sie vielleicht einsam ist. Mein nicht vorhandener Vater lebte als Geist, von dem nie gesprochen wurde, weiter in unseren vier Wänden. Natürlich sehnte ich mich danach, mich eines Tages zu verlieben, aber ich hatte auch Angst. Was wäre, wenn auch der Mann meines Herzens plötzlich einfach verschwinden würde?
    »Ich habe dir heißes Wasser übrig gelassen, Schatz!«, rief meine Mutter.
    Mom kam aus der Dusche. Wenn ich jetzt nicht in die Hufe käme, wäre meine Mitfahrgelegenheit weg, und ich müsste zu allem Übel auch noch eine Busfahrt durchleiden.
    Als ich in der Schule ankam, tat mir vor lauter Stress der Kopf weh. Ich starrte eine halbe Ewigkeit tatenlos in meinen Spind und verfluchte Brynns Morgengruß und die schwarzen Augen aus meinem Traum.
    »Hallooooooo? Was ist denn mit dir los? Du siehst ja aus wie ein Zombie«, sagte Claire, die auf einem Müsliriegel herumkaute.
    »Hab Kopfschmerzen«, sagte ich leise und suchte weiter nach den Büchern für die erste Stunde.
    Durch den Lärmpegel auf dem Flur hatte ich eine Art Tunnelblick. Ob die Krankenschwester schon vor der ersten Stunde Patienten nimmt?
    »W ieder zu lange am Computer gesessen? Es ist erwiesen, dass durch Google schwere neurologische Probleme in unserer Altersgruppe entstehen. Es sei denn …« Und schon hatte Claire ihr wissendes Zwinkern im Auge. »Hast du etwa im Chat einen Typen kennengelernt? Kennen wir ihn?«
    Ich drehte mich langsam zu ihr um. Claire Myers und ich waren seit der dritten Klasse praktisch unzertrennlich,aber die Windungen ihres Gehirns waren mir immer noch ein Rätsel.
    »Ich habe eine Hassmail von Brynn bekommen«, brummte ich, und meine Stimmung kippte noch mehr auf Weltuntergang.
    Claire lehnte sich an den Spind und seufzte voller Mitgefühl.
    »Schon wieder?«
    »Ja. Wenigstens ein Mensch hat meinetwegen schlaflose Nächte.«
    »Es ist zum Wohle der Menschheit.«
    » Wie bitte?«
    »W enigstens lässt sie mich in Ruhe!« Claire grinste und kniff mich in den Arm. Sie musterte mich gründlich von oben bis unten und sagte dann sehr ernst: »Du brauchst einen Freund.«
    Ich seufzte. Klar, gleich würde einer vom Himmel fallen.
    »Jemanden, der dich vor der bösen Hexe hier beschützt.« Claire ließ ihren Blick über die Schülerschar schweifen.
    Als ich gerade antworten wollte, hörte ich das wohlbekannte Klappern von Ledersandalen, die direkt hinter uns zum Stehen kamen.
    »Ist meine Mail angekommen?« Brynn schnalzte mit der Zunge. Ihre Arme waren vor einer frisch gebügelten weißen Bluse verschränkt, die ordentlich in einem karierten Rock steckte. Ihre dunkelbraunen Augen glitzerten bösartig.
    »Das hier ist keine Privatschule, falls du’s noch nicht weißt«, informierte sie meine schlagfertige Freundin. »Ich fürchte, du hast dich auf dem Weg nach Saint Andrew’s verlaufen.«
    Brynn, höflich wie immer, zeigte uns den Stinkefinger, drehte sich auf dem Absatz um und klapperte davon.
    »W as ist?« Claire schob sich ein Kaugummi in den Mund und entsorgte das Papier achtlos in meinem Spind. »Das hast du doch auch gedacht. Sie tut so, als geht sie auf irgendeine teure Privatschule und wir sind der Abschaum. Ignorier sie einfach, Teagan.«
    Ich hörte Claires Stimme und war eigentlich völlig ihrer Meinung, aber stierte wie gebannt Brynn nach. Ich starrte auf das Ende des Gangs, wo Schüler in Taschen kramten, Spindtüren auf- und zumachten … lachten, schwatzten, redeten. Es war mir physisch nicht möglich, meine Augen abzuwenden, weil der Gang sich in einen dunklen, erdrückenden Tunnel verwandelt hatte. An dem einen Ende stand ich. Am anderen er .
    Ist das möglich?
    Ich fühlte seine schwarzen Augen auf mir wie in meinem Traum. Meine Haut überzog sich mit der altbekannten Gänsehaut. Wie versteinert stand ich hilflos auf dem Fleck, obwohl ich in die entgegengesetzte Richtung davonrennen wollte. Hinter der Gestalt ragten zwei Schatten auf, die so groß waren, dass ich selbst aus dieser Entfernung die lederartige Struktur der tiefgrauen Flügel im
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