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Engelsstern

Engelsstern

Titel: Engelsstern
Autoren: Jennifer Murgia
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Neonlicht klar erkennen konnte.
    Ich atmete tief durch. Claire nahm keine Notiz vondem traumähnlichen Eindringling am anderen Ende des Gangs. Niemand bemerkte ihn.
    Ich machte instinktiv einen Schritt zurück. Er war weg.
    »Sie hält sich für ein Gottesgeschenk«, fuhr Claire fort. Ihre Stimme war wieder vernehmbar, als hätte jemand die Lautstärke abgedreht und würde sie langsam wieder aufdrehen.
    Zitternd griff ich nach meinen Büchern und atmete noch einmal durch. Mein Kopf nickte automatisch in Zustimmung.
    »Das ist ein Zeichen von Unsicherheit. Sie hat ihre Klauen eingeschlagen. Sie weiß, welche Knöpfe sie bei dir drücken muss. Außerdem fühlt sie sich nur stark, wenn sie jemand anderen erniedrigt.«
    Ich sah meine beste Freundin an, als sei sie gerade hinter dem Mond hervorgekommen.
    »Claire, hast du ihn nicht gesehen?« Ich zeigte auf die Stelle, wo die dunkle Gestalt eben noch gestanden hatte.
    »Und ob. Und er sieht gut aus.«
    Vergiss es. Das war’s.
    Ryan Jameson zog sich die lederne Columbia-Tasche höher auf die breiten Schultern und trat vor uns, als es gerade das erste Mal zur Stunde klingelte.
    »Teagan.« Er nickte mir zu.
    Ich lächelte zurück und wollte nicht sehen, wie schnell und vertraut Claires Hand in seine glitt.
    »V ielleicht gehst du besser zur Krankenschwester. Du siehst blass aus.« Claire zog besorgt die Augenbrauen hoch. »W ir sehen uns beim Mittagessen, Tea.«
    Sie winkte mir zu und zog mit ihrem neuen Freund von dannen. Ich knallte die Spindtür zu, das hallende Geschepper verstärkte meine Kopfschmerzen. Ich rüstete mich für den Unterricht und machte mich auf den langweiligen Weg zur Sporthalle, vorbei an Spindschränken und nervigen Footballspielern. Dabei behielt ich das andere Ende des Gangs ständig im Blick und versuchte, diesen völlig unwirklichen Moment nachzuvollziehen. Vielleicht waren es ja bloß die Auswirkungen meines schrecklichen Morgens, und ich hatte mir alles eingebildet? Mein Albtraum schien nachzuwirken und mir über die Grenze zur Wirklichkeit hinweg in die Schule gefolgt zu sein. Vielleicht hatte Claire recht. Vielleicht bräuchte ich einen Freund – oder aber die Krankenschwester –, jemanden, der mich von dem Irrsinn meines Lebens ablenken würde.
    Ich entschied mich spontan sowohl gegen die Krankenschwester als auch gegen die Sporthalle und wanderte in den Hof, um frische Luft zu schnappen. Dort ließ ich den Rucksack auf den Boden und mich auf eine Betonbank fallen. Es war ein schöner Morgen, obwohl mein Atem sichtbar war; die kalte Luft verhalf mir zu einem klaren Kopf, sodass ich wieder geradeaus denken konnte. Ich starrte vor mich hin, auf die Bäume und den Fußweg hin zur Südtreppe. Alles war sauber und ordentlich und bot keine dunklen Nischen, aus denen eine Gestalt mit dunklen Flügeln plötzlich hervorhechten konnte.
    Ich freute mich über die rosa Knospen an den kürzlich noch nackten Ästen über mir. Sogar der Himmel war tiefblau und wolkenlos, wie auf einer Postkarte oderin der Werbung, und eigentlich hätte ich mich fröhlich und voller Energie fühlen müssen. Aber von wegen. Ich legte mein Gesicht in die Hände und machte die Augen zu, weil das Hämmern in meinem Kopf einfach nicht aufhören wollte.
    Eine gedämpfte, aber trotz des Hämmerns vernehmbare Stimme fragte: »Ist alles in Ordnung?«
    Da ich überhaupt keine Schritte gehört hatte, kam diese Stimme wie aus dem Nichts. Und ich muss wohl zusammengezuckt sein oder aufgeschrien haben, weil sein Gesichtsausdruck genau dem unsicheren Klopfen in meiner Brust entsprach.
    »Ich wollte dich nicht erschrecken.«
    Ich räusperte mich. »Hast du nicht. Ich meine, alles in Ordnung.« Ich sah hoch in ein mir unbekanntes Gesicht. Das schönste Gesicht, das ich je gesehen hatte.
    Ein großgewachsener Junge mit weichen, aber markanten Gesichtszügen stand vor mir. Das Sonnenlicht umspielte seine blonden Haare, deren leichte Locken die durch die Äste dringenden Lichtstrahlen einfingen. Aber … seine Augen. Sie waren warm und unendlich blau – und fast übernatürlich hypnotisch. Plötzlich waren meine Kopfschmerzen verflogen, und eine tröstliche Wärme breitete sich in mir aus. Meine vorherige Panik – die Hänselei, die Erscheinung im Gang – schmolz allein durch seinen Anblick dahin.
    »Ich heiße Garreth.«
    Wie ein Idiot starrte ich seine ausgestreckte Hand an. Peinlicherweise versagte mir die Stimme. Ich versuchte,meine Stimmbänder unter Kontrolle zu kriegen, war
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