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Engelskraut

Engelskraut

Titel: Engelskraut
Autoren: Gmeiner-Verlag
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zusammenhielten, in irgendeiner unsichtbaren Weise.
    »Dieser Spruch mit der Freundschaft, den hab ich dir nicht wirklich ins Poesiealbum geschrieben, oder?«, wollte Franca nach einer Weile wissen.
    Ludmilla starrte sie einen Moment lang schweigend an. »›Wahre Freundschaft ziert das Leben. Ist wie ein Band, das nie zerbricht, ist wie ein Band, das Engel weben, aus Rosen und Vergissmeinnicht.‹« Ihre jetzige Tonlage war völlig anders. Fast zärtlich hatte sie diesen Spruch aufgesagt. Voller Sehnsucht. Mit einem Mal wirkte sie sanft und verletzlich. Sie schürzte die Lippen. Strich sich die Haare aus dem Gesicht. »Ein Band aus Rosen und Vergissmeinnicht. Von Engeln gewebt. Ist doch ein schönes Bild, oder? Jeden Tag hab ich diesen Spruch gelesen. Jeden Tag.« Sie lächelte. Es war ein liebliches Lächeln. »Und wenn man etwas jeden Tag vor sich sieht, glaubt man daran. Das brennt sich ins Hirn. So wie sich mir alle wichtigen Dinge ins Hirn gebrannt haben.« Sie blinzelte heftig. Ihr Kinn zitterte. »Freundschaft ist so etwas Wichtiges. Warum hast du das nicht verstanden? Ich hätte alles dafür getan, deine Freundin zu sein.«
    Francas Magen zog sich zusammen. Auf ihren Armen bildete sich Gänsehaut.
    »Als Kind habe ich an den lieben Gott geglaubt. Ganz fest rechnete ich damit, dass er mir hilft und mich beschützt«, fuhr Milla mit weicher Stimme fort. »Aber eines Tages musste ich feststellen, dass er mich gar nicht wirklich beschützt. Viele schreckliche Dinge passierten. Ich habe versucht, zu verstehen, warum das immer nur mir geschah. Ganz schlimm war es, als Eric starb. Da habe ich angefangen, mit Gott zu hadern.« Plötzlich war in Millas Augen Angst zu sehen. Die Angst eines Menschen, der den Glauben verloren hatte. An Gott, an sich, an alles.
    Franca erkannte mit einem Mal ganz klar: Vor ihr saß ein Mensch, einsam und verzweifelt. Eine Frau, die sich selbst verletzte, die ständig um menschlichen Kontakt bemüht war, den sie sich jedoch immer wieder durch unverständliches Verhalten verbaute. Eine Frau voller Sehnsucht und voller Hass, die nicht wusste, wie man beides nebeneinander existieren lassen konnte.
    Millas Gefühle waren aus der Balance geraten. Sie kämpfte mit seelischen Amokläufen. Dabei blieb ihr Seelenlabyrinth mit seinen vielen Windungen und Sackgassen für Außenstehende rätselhaft und undurchschaubar.
    Franca hatte einiges über Persönlichkeitsstörungen gelesen. Etliches an Millas Verhalten deckte sich mit dem ›Borderlinesyndrom‹. Als Gründe für die starken Gefühlsschwankungen dieser Menschen wurden massive körperliche und seelische Missbrauchserlebnisse oder andere extrem belastende Lebenserfahrungen angegeben. Allerdings wurde davor gewarnt, solche Diagnosen allzu schnell zu stellen, denn die Grenzlinie zwischen gesellschaftlich noch akzeptierten ›Macken‹ und einer tief greifenden Störung war bisweilen fließend.
Franca war keine Psychologin. Sie war Polizistin. Und sie hatte sich schon oft in ähnlichen Situationen gefragt, ob letzten Endes nicht jeder selbst für sein Leben und seine Taten verantwortlich war.
    Wurde nicht jeder Mensch vor Herausforderungen gestellt, die er besser oder schlechter meisterte? Es gehörte vielleicht zur Einzigartigkeit eines jeden Menschen, unterschiedlich damit umzugehen. Wer ihm dabei half oder aber seine Hilfe verweigerte, prägte ihn sicher tief. Allerdings gab es Situationen, in denen der eine nicht erkannte, wann der andere dringend seines Beistands bedurfte.
    Franca beugte sich ein Stück weiter vor, strich Milla sanft über die Hand mit den abgebissenen Fingernägeln. Sie spürte, wie Milla in einem ersten Impuls ihre Hand zurückziehen wollte. Doch sie überwand sich und ließ sie liegen. Franca drückte sie innig. Milla lächelte krampfhaft. Presste die Lippen aufeinander und schluchzte kurz auf. Tränen bildeten Gräben in ihrem perfekt geschminkten Gesicht und tropften auf die Tischplatte. Ihr Blick war flehend.
    »Hilfst du mir, das alles durchzustehen?«, fragte sie mit erstickter Stimme.
    Franca konnte nicht anders, als zu nicken. »Ja, ich helfe dir.«

Epilog
    Die Bettwäsche war frisch gewaschen und roch gut. Hans Kleinkauf hatte sie draußen an der Luft trocknen lassen, nun bezog er Kissen und Bettdecke damit.
    Ellies Bettzeug war im Schrank verstaut. Überrascht hatte er festgestellt, dass er seine verstorbene Frau nicht mehr ganz so stark vermisste.
    Jetzt war er bereit dafür, die ihm noch verbleibende Zeit zu
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