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Engelsfluch

Engelsfluch

Titel: Engelsfluch
Autoren: Joerg Kastner
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kaum bereit für die Macht, die im Verborgenen liegt. Möglicherweise hat Gott deshalb so streng darauf geachtet, dass die Engel sich nicht gegen seinen Willen mit den Menschen verbanden.«
    Der bewaffnete Trupp kam ein oder zwei Stunden später, um die Gefangenen zu holen. Zeit war in dem unterirdischen Kerker bedeutungslos. Es waren fünf Männer mit automatischen Pistolen und handlichen Uzis. Angesichts dieser Feuerkraft, der die vier Gefangenen nichts entgegenzusetzen hatten, war jeder Gedanke an Flucht verschwendet.
    Der Gang, durch den sie von ihren Wächtern geführt wurden, war von ähnlichen provisorischen Lampen erhellt wie der Raum, in dem Enrico aufgewacht war. Überall stießen sie auf die Wandmalereien der Etrusker, und hier waren auf fast jedem Bild geflügelte Wesen zu sehen. Nach einer Abzweigung endete der Gang vor dem Durchlass zu einer größeren Felskammer, der von zwei lebensgroßen Engelsstatuen bewacht wurde. Einer der Geflügelten lächelte und wies mit einer einladenden Handbewegung auf den großen, hohen Raum. Der zweite Engel aber blickte ernst, und ein Schwert in seiner rechten Hand sollte vielleicht die falschen Leute abschrecken, die Felskammer zu betreten. Die Bewaffneten allerdings ließen Enrico und seinen Begleitern keine Wahl.
    Dutzende von armlangen Kerzen, entlang der Wände aufgereiht, beleuchteten den Raum und warfen ein Spiel aus tanzenden Schatten auf das Felsgestein. Auch hier sah man die etruskischen Wandmalereien mit dem Engelsmotiv, gleichzeitig aber schmückten christliche Symbole den Raum. Im hinteren Bereich stand ein mindestens drei Meter hohes hölzernes Kruzifix zwischen zwei Wandteppichen, die das Jesuskind in der Wiege und den gebückt gehenden, sein Kreuz nach Golgatha tragenden Jesus zeigten. Vor dem Kruzifix stand ein mit Kerzen und Blumen geschmückter Tisch, unzweifelhaft ein Altar. Der größte Teil des Raums wurde von sorgfältig aufgereihten Stühlen eingenommen, von denen die Mehrzahl besetzt war. In den vorderen Reihen hatten viele Kleriker, darunter auch Ferrio und weitere Kardinäle, Platz genommen, hinter ihnen Männer und Frauen, die vermutlich in diesem unterirdischen Komplex arbeiteten. Ganz hinten saßen Alexander und Elena, bewacht von einem Mann, der seine Uzi zwar lässig am Schultergurt trug, aber die beiden kaum eine Sekunde aus den Augen ließ.
    Enrico, Vanessa, Tomás Salvati und Custos mussten sich neben die beiden setzen, und die Bewaffneten blieben in ihrem Rücken stehen.
    »Willkommen zur heiligen Messe«, flüsterte Alexander.
    »Oder zu dem, was die Totus-Tuus-Leute darunter verstehen.«
    Orgelmusik setzte ein, obwohl nirgendwo eine Orgel zu sehen war. Vermutlich kam die Musik vom Band. Zwei Messdiener gingen zwischen den Stuhlreihen nach vorn, halbwüchsige Jungen, die ihre Räucherfässchen elegant im hohen Bogen schwangen, und bald lastete schwerer Weihrauchduft auf allen. Den Ministranten folgte gemessenen Schrittes Renzo Lavagnino mit vier weiteren Messdienern. Er blieb vor dem Altar stehen, um wahrhaftig die heilige Messe zu zelebrieren. Er tat es in Latein, ein alter Brauch, der von der Amtskirche längst abgeschafft war, aber von konservativen Geistlichen gegen alle Order aus Rom weiterhin praktiziert wurde.
    »Was soll das Ganze?«, fragte Vanessa leise und schüttelte sich.
    »Auf mich wirkt das makaber.«
    »Du weißt wirklich nicht, was hier geschieht?«, fragte Enrico. Zum ersten Mal seit Stunden blickte Vanessa ihm wieder in die Augen. »Nein. Ich habe mich von Lavagnino losgesagt. Auch ich bin nur eine Gefangene.«
    Enrico glaubte ihr, aber er fühlte sich noch immer von ihr betrogen und verletzt.
    »Was auch immer das hier darstellen soll, eins beweist es ganz klar«, meinte Alexander. »Lavagnino ist nicht nur verblendet, er ist vollkommen wahnsinnig!«
    Nach dem Ende der Messe wechselte der Kardinalpräfekt ins Italienische und sagte: »Brüder und Schwestern, nach diesem Gottesdienst sind wir bereit, uns dem Herrn und seiner himmlischen Macht zu stellen, die viel zu lange schon in diesem Berg ruht. Wir werden die Engelsschar aus ihrem Schlaf erwecken, damit sie uns beisteht in unserem Kampf, den wahren Glauben wieder in der Kirche durchzusetzen. Und wenn die Kirche geeint und fest hinter einem neuen Papst steht, wird auch das gelingen, was bisher gescheitert ist: Wir werden Gottes Wort über den ganzen Erdball verbreiten, bis es keine Ungläubigen mehr auf diesem Planeten gibt.«

    »Ein wahnsinniger Missionar«,
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