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Engelsfluch

Engelsfluch

Titel: Engelsfluch
Autoren: Joerg Kastner
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»Richtig. Henoch berichtet von der Strafe Gottes für jene gefallenen Engel, die sich mit den Menschentöchtern einließen. Diese Gefallenen sollten für siebzig Geschlechter unter die Hügel der Erde gebunden werden bis zum Tag ihres Gerichts und ihrer Vollendung, bis das Endgericht vollzogen wird. In jenen Tagen, so heißt es weiter, wird man die Gefallenen in den Schlund des Feuers hinabführen, und sie werden für ewig in der Qual und im Kerker eingeschlossen sein.«
    »Ich glaube nicht, dass ich das verstehe«, gestand Enrico.
    »Dieser Berg hier mit seinen geheimen Höhlen könnte das vorläufige Gefängnis der Gefallenen sein, von dem Henoch spricht. Der Ort, an dem sie auf das Höllenfeuer warten – oder darauf, dass sie freikommen und ihre böse Macht über die Welt verbreiten können. Es gibt andere Überlieferungen, oft nur bruchstückhaft, die vor der Macht der gefallenen Engel warnen und davor, dass der Engelsfluch die Welt ins Verderben stürzt.«
    »Wie sollte das geschehen?«
    »Vielleicht ist es unsere Kraft, die Kraft der Engelssöhne, die nötig ist, um die Fesseln der Gefallenen zu sprengen.«
    Enricos Kopf brummte angesichts dieser Eröffnungen.
    Vielleicht waren es auch die Nachwirkungen des Schlafmittels und seines intensiven Traums, die ihm das Denken erschwerten.
    Mühevoll konzentrierte er sich und fragte: »Sind Sie denn auch ein Nachfahre der Engel?«
    »Nach allem, was ich jetzt weiß, ja. Ich hatte immer eine Antwort auf die Frage gesucht, woher Jesus seine ungewöhnlichen Kräfte hatte. Auch er muss ein Nachfahre der Engel gewesen sein, ein Engelssohn. Davon ausgehend, dass die Engel letztlich nichts anderes sind als ein Teil der göttlichen Macht, ist Jesus tatsächlich, und nicht nur sinnbildlich, Gottes Sohn gewesen. Genaues wissen wir nicht. Fest steht nur, dass hier im Monte Cervialto eine Macht schlummert, die wir mit unseren naturwissenschaftlichen Erkenntnissen auch nicht ansatzweise zureichend erklären können. Ihre Träume, Enrico, und das schreckliche Erdbeben beweisen es.«

    »Wieso das Erdbeben?«
    »Ich habe es vorausgesehen«, sagte Tomás Salvati. »Meine Warnung an Custos, nicht nach Neapel zu kommen, war kein Bluff, kein Taktieren. Ich hatte einen Traum, in dem Custos nach Neapel kam, und der Boden erbebte unter seinen Füßen.
    Damals hielt ich es für eine Warnung Gottes, aber ich habe mich geirrt. Und vielleicht bin ich genauso Auslöser der Katastrophe gewesen wie Custos – unfreiwillig.«
    »Weil die Engelsmacht auf eure Anwesenheit in dieser Gegend reagiert hat?«
    »Das vermuten wir«, antwortete Salvati.
    »Aber jetzt herrscht Ruhe«, meinte Enrico. »Oder hat es noch Beben gegeben, während ich ohne Bewusstsein war?«
    »Nein, Gott sei Dank nicht. Aber ich befürchte, dass das Erdbeben und der Ausbruch des Vesuvs nur ein Vorgeschmack auf das Kommende waren. Ähnlich könnte es vor zweitausend Jahren gewesen sein, als die Etruskerstadt bei Borgo San Pietro verschüttet wurde. Hier wie dort gab es etruskische Kultstätten, zugleich Schulungsorte für die etruskischen Priester.«
    »Ich bin heute schwer von Begriff«, entschuldigte sich Enrico im Voraus. »Und ich kann schon wieder nicht folgen. Wenn die gefallenen Engel hier im Monte Cervialto gefangen sind, wie können sie dann für das Unglück in Borgo San Pietro verantwortlich sein?«
    »Vermutlich gibt es nicht nur einen Ort, an dem die Gefallenen eingeschlossen sind. Wer weiß, vielleicht mussten sie sogar aufgespalten werden, um ihre Kraft zu schwächen.
    Möglicherweise gibt es auf der ganzen Welt Orte wie diesen, besondere Orte mit einer Ausstrahlung, die alte Völker wie die Etrusker dazu veranlasst haben, dort ihre Kultstätten zu bauen.«

    Enrico sah seinen Vater ungläubig an. »Meinst du, die Pyramiden in Ägypten und in Südamerika, die riesigen Steinfiguren auf der Osterinsel, die Felsenstadt Petra, der Steinkreis von Stonehenge – das alles geht auf die gefallenen Engel zurück?«
    »Es ist bloß eine Theorie. Vielleicht trifft es nicht auf alle diese Orte zu, nur auf einige.«
    Noch immer lag offener Zweifel in Enricos Blick, als er zu seinem Vater sagte: »Ich fürchte, das alles geht weit über meinen Verstand hinaus.«
    »Das trifft auf uns alle zu, Enrico. Alles, was wir hier besprechen, sind nur Vermutungen, Erklärungsversuche. Wir kratzen nur an der Oberfläche dessen, was für uns wohl immer ein Geheimnis bleiben wird. Und vielleicht ist das gut so. Denn wir sind nur Menschen und
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