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Engelsblut

Engelsblut

Titel: Engelsblut
Autoren: Julia Kroehn
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Wahrscheinlich war sie wärmer, glutheiß; wenn er daran leckte, würde zischend die aufgeraute Haut seiner Zunge verglühen und schwarz werden.
    Er stand auf, trat zu ihr, nahm den Löffel, der aus der Suppe ragte, und führte ihn an ihre Lippen. Sie aß folgsam, weil sie gern gehorchte. Ihm verging der eigene Hunger noch mehr. Er wollte sie schlürfen hören, obwohl er selbst nie schlürfte. Er wollte einen Laut aus ihrem Mund vernehmen. Sie aber aß lautlos.
    Drei Bissen später ließ er den Löffel fallen, neigte sich vor, schleckte den letzten Tropfen Suppe ab, der von den halbgeöffneten Lippen rann, stellte erleichtert fest, dass er salzig schmeckte. Sie ließ ihn gewähren, zitterte, verkroch sich schließlich in die Wärme, die er aus ihr herauszusaugen trachtete. Auf seinem Schoß saß sie, lauschte seinen Instruktionen, was sie morgen zu tun hatte, und beugte sich dem Verbot, am gefahrvollen Leben zu nippen. Ihr fehlte ohnehin der Appetit. Sie war satt – schließlich aß, kostete, kaute er.
    Als sie sich später in ihrem Zimmer befand, wo ein Bett bereitstand, das warm war wie der Schoß ihres Oheims, starrte sie auf ihr Spiegelbild, legte sich ein weißes Tuch um das Gesicht und gefiel sich als künftige Nonne. Sie erwartete vom Leben kein Glück – aber Sorglosigkeit. Und in den Armen des Domherrn war das Leben leicht.
    Er hob sie am nächsten Tag unter den Achseln hoch, küsste ihr die Stirn, vergrub seine Nase in ihrem schwarzen Haar. Es schmeckte nach Holz und Honig und ein wenig wie abgestandener Essig. Er biss hinein, sie spürte nichts. Sie wunderte sich nur über sein Verhalten, das von Tag zu Tag, von Woche zu Woche seltsamer ward. Er rief sie zu sich, hob, wiegte, drückte sie, versenkte schweigend Nase und Mund in ihre Haut, lähmte ihren Widerstand. Zuletzt ließ sie ihn gewähren.
    Er kostete ihr Lächeln, versteckte seine Zunge in ihren Mund, leckte Zahn um Zahn ab, saugte so lange den Atem aus ihrem Gaumen, bis ihr schwindelte. Er fühlte, wie ihre Hände sich an seinem Hals zu Fäusten ballten, hoffte, sie möge ihn damit schlagen. Er wollte wissen, wie solche Schläge schmeckten. Als ihre Finger erschlafften, war er enttäuscht.
    Er hörte auf zu essen – sein Menü bestand aus ihrem Körper. Er erforschte ihn nicht mit Begehren, sondern mit Appetit, wurde nicht getrieben von der Geschlechtlichkeit, sondern von der Gier des Feinschmeckers. Er wollte sich den Bauch voll schlagen mit ihr, leckte ihre Scham auf der Suche nach süßlichem Geschmack, nach dem es ihn gelüstete.
    Eines Tages übermannte ihn die Gier. Er suchte sie mit seinen Fingern zu essen, mit seinem Geschlecht zu erschmecken, und erst als er damit fertig war, fand er heraus, dass Lippen und Zunge die wichtigeren Werkzeuge eines Mannes waren.
    Drei Monate später ging Marie schwanger. Das wurde von einer Bediensteten festgestellt, die diesen Verdacht ihnen beiden mitteilte, mitleidig, abgebrüht, nichts Menschliches sei ihr fremd, nur von ihm, dem Domherrn, habe sie das nicht erwartet.
    Marie erbrach sich. Säuerlich stieg es von den ausgespuckten Essensresten in die Nase des Geistlichen. Er wandte sich ab und dachte verlegen, wie gut ein knusprig gebratener Kapaun jetzt munden würde.
    Graf Joseph Maximilian von Altenbach-Wolfsberg war fünfunddreißig Jahre alt, verwitwet und verarmt. Einer seiner Vorfahren hatte unter der Regierungszeit der großen Maria Theresia den Gutshof zur beachtlichen Größe aufgebaut. Des Grafen Vater brachte ihn später heil durch die Napoleonischen Kriege und bewahrte sein Vermögen trotz der böhmischen Truppen, die brandschatzend durchs Land zogen, und der Missernten, die folgten. Er lenkte die Geschäfte durch die Jahre, die zum Frieden von Lunéville führten, arrangierte sich, als das Land an Bayern abgegeben wurde, und konnte gut damit leben, als es später einem französischen Gouverneur unterstellt war. Er handelte, bestach, betrog, am Ende war er reicher als zuvor.
    Sein Sohn nicht lange. Maximilian von Altenbach-Wolfsberg spekulierte mit dem Anbau neuer Handelsgewächse, pflanzte Baumwolle und Safran und steckte tief in Schulden, bis er endlich feststellte, dass Krapp, Rüben und Hopfen im Hausruck besser zu züchten waren. Er verkaufte einen Teil des Landes an einen Beamten, was besonders blamabel war, weil dieser zu den Bürgerlichen zählte. Schließlich, als dennoch die Schulden wuchsen und wuchsen, besann er sich auf einen entfernten Blutsverwandten, einen Domherrn zu
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