Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Engelsblut

Engelsblut

Titel: Engelsblut
Autoren: Julia Kroehn
Vom Netzwerk:
Mätresse entkommen könne. »Ich kann es für Marie großziehen.«
    Da der Graf keine Antwort gab, war es abgemachte Sache.
    Der Pfarrer, den man rufen ließ, erklärte weise, man habe von dem unschuldigen Kleinen den Ruf abzuwenden, es sei ungewollt auf die Welt gekommen. Mit der richtigen Auswahl des Namens könnte man boshaftes Geschwätz vermeiden.
    Samuel hieß das Kind der alttestamentarischen Hanna, welche jahrelang im Tempel um eine Schwangerschaft gebetet hatte und mit einem Sohn beschenkt worden war. Jener Name bedeutete »Der von Gott Erhörte«.
    Der Graf stimmte ergeben zu und wandte sich von dem Kind ab. Es hatte nun einen Namen, galt als sein Sohn und war doch nichts weiter als ein Bastard, der im Kuhmist geboren worden war.
    Felicitas war dem Kinde zugetan. Es begleitete sie durch die Stunden des Wartens, in denen sich ihre Hoffnungen verästelten, vom großen, einzigen Ziel abließen, Gattin des Grafen zu werden, und sich kleinen, nebensächlichen Beweisen seiner Gunst zuwandten.
    Nur sehr nachlässig erteilte er ihr diese und ließ sie durch Gesten wissen, dass er die Lust auf sie schon in der ersten Nacht verloren hatte, dass ihn nur der Trotz zu ihr trieb – vor allem dann, wenn die Zahlungen des Domherrn eintrafen.
    Beinahe vergaß Felicitas, dass das Kind Maries Balg und im Stall geboren war. Nur manchmal, als es größer wurde und begann, sich an sie zu schmiegen und ihren weichen Körper zu suchen, da war es ihr, als würde es nach Kuhmist und nach der verhassten Nebenbuhlerin stinken, und sie drückte es weg, schlug auf die kleinen Händchen, auf die blassen Backen und verbot jede Berührung. Doch dann reute sie ihr rüdes Benehmen, sie sang ein Lied, lauschte, wie das Kind hoch und hell einstimmte, und vergaß, wonach es roch.
    Graf Maximilian sah über den Knaben hinweg, wenn er in dessen Nähe weilte. Er ließ sich von ihm weder begeistern noch verstören. Die Zeit, die er Felicitas schenkte, war rar, gefüllt mit wenigen Riten, die ihre Bedeutung nur aus der Wiederholung zogen. Nie gab er sich bemüht und zärtlich. Wiewohl nicht offen ausgesprochen, schien es beschlossen, dass sie sich längst geschlagen gegeben hatte, dass sie den Sinn ihres Lebens an einem unverbindlichen Morgen vergeudet hatte, anstatt ihn heute laut und fest bei ihm einzuklagen. Aus Bequemlichkeit schürte er ihre Träume und Fantasien, erklärte, wenn sie – selten – zu klagen anhob, dass kein Weg an seiner Ehe mit Marie vorbeiführe, dass er auf ihr Verständnis, ihr Ausharren, ihre Geduld zähle.
    Anfangs traf sie willentlich die Entscheidung, ihm nachzugeben. Später verkam ihr Kapitulieren zum steifen Mechanismus. Sie forderte nicht mehr ihn, sondern plumpe Wiederholungen, deren Regelmäßigkeit zufrieden stellte.
    Ihr Murren ob seiner hastigen Berührungen erstarb. Er hob ihren Rock, ohne ihre Brüste zu entblößen, öffnete seine Beinkleider, ohne sich ihrer zu entledigen, vergoss totenstill und auf die weiße Wand starrend seinen Samen.
    Hernach schloss er die Hosen und ging. Ihren Rock musste sie sich selbst über die Beine ziehen.
    Eines Tages, als dies geschah, blickte der Graf nicht auf die weiße Wand vor sich, sondern ungewollt in Samuels ausdrucksloses, verschlossenes Gesicht. Der Vierjährige musterte ihn wortlos, während des Grafen Hände roh und gleichgültig Felicitas betasteten.
    »Himmel!«, rief der Graf entsetzt aus und schloss seine Beinkleider, bevor er fertig war. »Himmel! Das Kind versauert hier und wird blöde, es muss doch etwas mit ihm geschehen, damit’s ein rechter Mensch wird!«
    Er klemmte sich Samuel unter den Arm wie ein lebloses Bündel, trug ihn auf den Hof und schüttelte ihn dort ab. Der Kleine fiel auf den matschigen Boden.
    Verwilderte Kinder von Mägden, Pächtern und Häuslern äugten erstaunt.
    »Nehmt’s ihn!«, schrie der Graf in ihre verdrossenen, feindseligen Gesichter. »Nehmt’s ihn, spielt’s mit ihm, schaut’s zu, dass er rote Backen kriegt!«
    Samuel rappelte sich auf und glotzte auf die Kinder. Er roch zum ersten Mal die milde Landluft, den beißenden Geruch nach frischem und verfaultem Obst, nach Ställen und nach Pferden, nach feuchter Erde und abgeernteten Feldern. Er krauste sein Naschen. Er witterte Kuhmist.
    »Wie heißt du?«, fragte eines der Kinder feindselig. Sie griffen nach ihm, wollten den fremden Knaben und seine edle Kleidung befühlen.
    Da wich er ihnen aus und ließ sich wieder zu Boden fallen, umklammerte mit seinen dürren Fingern
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher