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Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition)

Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Georg Haderer
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und atmete schwer. Krämpfe quälten seinen Magen. In den vergangenen Stunden war er durch den Wald gegangen, den Blick auf den Boden gerichtet, und hatte alles verzehrt, was ihm an Genießbarem untergekommen war. Großteils waren es Pilze gewesen – Goldröhrlinge, Eierschwämme, Trichterlinge, Trompetenpfifferlinge, Maronen, Steinpilze –, dazwischen immer wieder Klee, den er kniend in sich hineingestopft hatte, einmal eine bescheidene Ansammlung von Blaubeersträuchern, deren Früchte jedoch noch nicht reif genug waren. Dass er sich, kurz nachdem er eine Handvoll der Beeren ausgespuckt hatte, anhielt, den Platz nicht zu vergessen, um später die reifen Früchte ernten zu können, erschien ihm erst Minuten später widersinnig. Wie lange hatte er denn vor, hier auszuharren? Dieser Gedanke beendete vorübergehend seine animalische Futtersuche und ließ ihn an einen dicken Buchenstamm sinken. Wie lange noch, quousque tandem?, spazierte eine lateinische Floskel durch sein Gehirn, er haschte nach ihr, weil sie ihm gesicherte Erinnerung versprach, Lateinunterricht, ihr Lehrer mit dem Spitznamen Colonel Kurtz, er sah sein Bild, den feisten haarlosen Schädel, wuff, war er verschwunden, jetzt tauchte ein anderer Mann hinter seinen Augen auf: Conny? Ja, das war Konrad Mayer, ihr Pfadfinderführer. Der sie die Hälfte der wöchentlichen Treffen mit seinen öden Vorträgen gelangweilt hatte, zwei Dutzend Acht- bis Sechzehnjährige, mit den Füßen schabend wie eine Herde junger Stiere, im abgedunkelten Vereinsraum des Kolpinghauses, an der Wand vor ihnen die Bilder eines surrenden Overheadprojektors, Speisepilze, Beeren und andere essbare Wald- und Wiesenschätze, das letzte Chart: Achtung, Verwechslungsgefahr!, doch da war ihr Auffassungsvermögen von der Größe einer Pipette längst schon am Überlaufen, Fausthiebe, Papierkugelwürfe und erste Neckereien zwischen den Pubertierenden beendeten den Theorieunterricht meist vorzeitig, Ritalin gab es damals noch nicht, ADS bekämpfte man mit Völkerball und Orientierungslauf; und jetzt hatte dieses Wissen ihm vermutlich das Leben gerettet; wahrscheinlich, ein, zwei Stunden galt es noch den Bauchkrämpfen zu widerstehen, der Angst, dass doch ein Giftpilz dabei gewesen war, wenn nicht: danke, Conny!, puff, schloss sich vor dem sich verbeugenden Pfadfinderführer der Vorhang, der den Zuseherraum von der Erkenntnis trennte, dunkel wurde es wieder und trostlos; wenn nur die Fragen lange genug blieben, um sie zu verstehen; nicht der Schmerz im Hinterkopf war es, der ihn am meisten quälte, sondern die Unfähigkeit, in die Tätigkeit seines Gehirns ordnend einzugreifen; er begann zu weinen; das weichte die Mauer ein wenig auf, ein paar Menschen traten durch einen schmalen Spalt, er wusste, dass er sie kannte, dass sie ihm vertraut und geliebt waren, doch mehr blieb nicht. Dann kam ein Mann geradewegs auf ihn zu, milde lächelnd, im Gehen veränderte sich sein Alter, aus der Ferne hatte er ihn auf dreißig geschätzt, dann wurde er älter, und als er vor ihm stand, war er bestimmt Anfang siebzig, er trug kirchliches Ornat, grün und golden, Johannes, sagte er und ging vor ihm in die Hocke, Johannes, nicht einschlafen. Und er schlug die Augen auf, streckte seinen Rücken durch und begann zu singen:
    Dich liebt, o Gott, mein ganzes Herz
    Und dies ist mir der größte Schmerz
    Dass ich erzürnt Dich, höchstes Gut
    Ach, wasch mich rein in Jesu Blut
    Dass ich gesündigt, ist mir leid
    Zu bessern mich bin ich bereit
    Mein Gott und Herr, mir doch verzeih
    Nie mehr zu fallen Gnad’ verleih
    O Gott, schließ mir Dein Herz nicht zu
    Bei Dir allein ist wahre Ruh
    Lass nie mich von der Gnade Dein,
    von Deiner Lieb’ geschieden sein!
    Nimm hin mein Herz, Herr Jesus Christ
    Dein Herz für mich durchstochen ist
    Ich bitt’ durchs Blut des Herzens Dein
    Mach mein und aller Herzen rein
    Lass nie in Sünd’ mehr fallen mich
    Von ganzem Herzen lieben Dich
    O heil’ger Geist, o höchstes Gut
    Fach an in mir der Liebe Glut
    O Gott mein Ziel, Dein werd ich sein
    Mit Leib und Seel’ auf ewig Dein
    Tu nur mit mir zu jeder Zeit
    Herr, wie Du willst, ich bin bereit

5.
    Bergmanns Beförderung zum Gruppenleiter war der erste Punkt der Morgenbesprechung. Keiner der anwesenden Beamten zeigte sich wirklich überrascht oder äußerte sich dazu, doch die Spannung, die alle nicht gestellten Fragen im Raum erzeugten, veranlasste Kamp, gegen seinen ursprünglichen Willen auf das Thema Schäfer einzugehen.
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