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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten
Autoren: Anne Rice
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über die Anstrengung, die es mich kostete -, schwebte hinaus aus dem Gebäude und hoch in die Lüfte und sank erst wieder herab, als ich den ›Tempel vom Geiste Gottes‹ in Tel Aviv erreicht hatte.
    Das Haus war von Soldaten umstellt, deshalb betrat ich es in unsichtbarer Gestalt und erschlug jeden einzelnen Anhänger Gregorys, der Widerstand leistete, bis hin zu den Wissenschaftlern, die die toxischen Waffen unter Kontrolle hatten. Ich verursachte keinen Lärm, sondern bewegte mich flink, teilte schnelle, zielsichere Schläge aus. Der Tod ging in meinen Spuren. Es war beschwerlich und traurig, aber ich machte es gut und vollständig.
    Ich versetzte mich dann nach Jerusalem, wo ich feststellte, dass sich alle Mitglieder der Sekte schon ergeben hatten. Die Stadt war also in Sicherheit.
    Nicht so in Teheran. Auch hier erschlug ich die Widerständler, und hier, muss ich gestehen, gab ich mich einer bösartigen, teuflischen Maßlosigkeit hin. Ich nahm für meine tödliche Arbeit eine spektakuläre, Ekel erregende Gestalt an, sodass ich einigen der extrem abergläubischen persischen Tempelbrüder
    - Konvertiten von Wüstenreligionen - heftigste Furcht einflößte.
    Eitelkeit, oh, Eitelkeit. Ich ekelte mich vor mir selbst, als ich diese prachtvolle Show abzog. Blut hatte seinen Rubinglanz für mich verloren. Und Furcht in den Augen meiner Opfer zu sehen, fand ich nicht übermäßig schön.
    Ich denke also, dass meine Spielchen am wenigsten mir selbst eine Lehre waren, und damit auch ihr Gutes hatten. Wie auch immer, ich mordete jeden in dem Tempelbau in Teheran, der sich nicht vor mir beugte und um Gnade bat oder die Waffen fallen ließ und sich unterwürfig zu Boden warf.
    Es gab noch weitere Tempel, in denen ich Hand anlegen musste. Aber ich werde dir hier nicht eine Litanei von diesem Abschlachten herunterleiern. Lass mich nur sagen, dass ich in jeden Tempel eindrang, ob er ›gesäubert‹ worden war oder nicht, wie die Militärs heute zu sagen pflegen, und ich packte zu, wenn ich dachte, dass es unbedingt erforderlich war. Doch ich ermattete zusehends.
    Ich wusste, dieses Werk musste von eurer Welt vollendet werden. Ich wusste, dass es so aussehen musste, als ob Gregory Belkin und sein ›Tempel vom Geiste Gottes‹ von den Mitmen-schen überwältigt worden waren. Die sicheren Siege überließ ich den Menschen.
    Ich lernte etwas aus meinem Wüten. Ich lernte daraus, dass ich nicht mehr gern tötete. Nichts von dem Mal'ak war mehr in mir. Fasziniert war ich nur noch von der Liebe, ich war geradezu besessen von dem Gefühl der Liebe.
    Und Tatsache ist, dass ich die letzte dieser mörderischen Aufgaben - einige besonders gefährliche Tempelbrüder in Berlin und Spanien zu töten - nur mit Mühe und unter Aufbietung meiner ganzen Standhaftigkeit und inneren Seelenstärke ausführen konnte.
    Die Schlachten um den Tempel würden noch andauern.
    Ich hatte genug davon.
    Eine große Erschlaffung erfasste mich. Es war einfach, meine eigene körperliche Gestalt anzunehmen. Diese massive körperliche Form - das Wesen, das du hier siehst und hörst -
    stellte sich jedes Mal ganz natürlich ein, wenn ich in Gedanken anderweitig beschäftigt und abgelenkt war. Es kam mir natürlich vor, zu fühlen und zu riechen und die Welt zu durchstrei-fen. Unsichtbarkeit wurde zum Kraftakt. Ich musste sie erzwingen.
    Eine Woche lang wanderte ich durch die Welt, wandte mich hierhin und dorthin. Ich ging in die einsamen Sandwüsten des Irak. Ich besuchte die Ruinen griechischer Städte und die Mu-seen, in denen die schönsten Kunstwerke meines eigenen Zeitalters ausgestellt waren, und betrachtete all dies in Ruhe.
    Es kostete mich Energie, mich unsichtbar als Geist von Ort zu Ort zu bewegen, dennoch fehlte es mir in keiner Gestalt an Kraft. Nur, eine andere Gestalt als die meine anzunehmen, empfand ich als immer mühsamer.
    Und wie du weißt - denn du hast es ja mit eigenen Augen gesehen -, als ich den Körper Nathans für mich vereinnahmen wollte, erreichte ich keine Vereinigung mit dessen Zellen. Sein Fleisch war faulig, dem Grab entrissen, und ich wies es von mir, gedemütigt und beschämt, dass ich es aufgestört hatte.
    Auf meinen Streifzügen erwarb ich immer neue Kenntnisse.
    Ich ging in Buchläden und Bibliotheken. Ich las ganze Nächte durch, ohne zu schlafen, und der Fernseher lief ohne Unterbrechung, als die ›Tempel vom Geiste Gottes‹ eingenommen und zerstört wurden. Ich erfuhr von den Massenselbstmorden, bis all dies sich
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