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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten
Autoren: Anne Rice
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weinen.
    Um dich will ich weinen.

    Stan Rice, Some Lamb 1975

    26

    Ein neuer Morgen war angebrochen, kalt und klar und still.
    Asrael sagte, er müsse schlafen, aber nicht, bevor er mein Frühstück gerichtet hätte. Ich aß wieder den heißen Haferbrei, den er mir gekocht hatte, und dann legten wir uns zusammen nieder und schliefen.
    Beim Aufwachen lächelte er mich an und sagte: »Jonathan, ich werde dich nicht hier zurücklassen. Du bist krank, du musst nach Hause.«
    »Ich weiß, Asrael«, bestätigte ich. »Ich wollte, ich könnte mich damit befassen, aber ich kann nur an eines denken, an deine Geschichte. Es ist doch alles aufgenommen, es ist doch alles auf den Bändern?«
    »Ja, in doppelter Ausführung«, lachte er. »Wenn du so weit bist, schreibst du es für mich auf, und Jonathan, wenn du es dir anders überlegst, gibst du es jemand anderem, nicht wahr?
    Ich denke, wir sollten uns jetzt fertig machen, damit ich dich nach Hause fahren kann.«
    Innerhalb einer Stunde hatten wir gepackt und saßen im Jeep.
    Er hatte das Feuer und die Kerzen in der Blockhütte gelöscht.
    Ich hatte immer noch ein wenig Fieber, aber er hatte mich warm eingepackt auf dem Rücksitz verstaut, sodass ich schlafen konnte, und die Kassetten hielt ich fest in meinen Händen.
    Er fuhr wahnsinnig schnell, wie ein Irrer, schien mir, aber ich glaube nicht, dass er jemanden in Gefahr brachte. Hin und wieder öffnete ich die Augen, schaute zu ihm hinüber und sah ihn auf dem Fahrersitz, sah sein langes, dickes Haar, und dann drehte er sich um und schenkte mir ein Lächeln. »Schlaf, Jonathan.«
    Als wir in die Einfahrt zu meinem Haus einbogen, kam meine Frau herausgelaufen, um uns zu begrüßen. Sie half mir aus dem Wagen, und dann kamen auch meine Kinder, die beiden Jüngsten, die noch zu Hause leben, und gemeinsam beförderten sie mich nach oben ins Schlafzimmer.
    Ich fürchtete, er würde nun gehen, auf immer. Aber er kam mit, ging mit uns ins Haus, als sei das das Normalste von der Welt. Er küsste meine Frau auf die Stirn, und auch die Kinder.
    »Ihr Mann konnte dort oben nicht bleiben in dem grässlichen Schneesturm. Er hatte Fieber.«
    »Aber wie haben Sie ihn gefunden?«, fragte meine Frau.
    »Ich sah das Licht seiner Feuerstelle. Wir beide haben uns sehr nett unterhalten.«
    »Wohin wirst du gehen?«, fragte ich ihn. Ich hatte mich aufrecht gegen einen Kissenberg gelehnt.
    »Ich weiß noch nicht«, antwortete er und kam zum Bett her-
    über. Ich war mit zwei Steppdecken zugedeckt, und unser kleines Haus, dessen Heizung auf das Wärmeempfinden meiner Frau abgestimmt war, schien mir unerträglich warm, doch ich war erleichtert, zu Hause zu sein.
    »Verlasse mich nicht, Asrael«, bat ich.
    »Jonathan, es geht nicht anders. Ich muss umherstreifen. Ich möchte reisen, dazulernen. Ich möchte so vieles sehen. Nun, da ich mich an alles erinnern kann, bin ich in der Lage, richtige Studien betreiben zu können, wirkliche Einsichten zu gewinnen. Ohne Erinnerung gibt es keine Einsicht. Ohne Liebe gibt es keine Wertschätzung.
    Sorge dich nicht um mich. Ich kehre zurück in den Irak, zu den Ruinen Babylons im Wüstensand. Ich habe das äußerst merkwürdige Gefühl, dass Marduk dort ist, umherirrend, vernachlässigt, ohne seine Anbeter, ohne eine Kapelle, einen Tempel, und dass ich ihn finden könnte. Ich weiß nicht. Vielleicht ist es ein naiver Traum. Aber alle, die ich je geliebt habe
    - ausgenommen du -, sind tot.«
    »Was wird aus den Chassidim?«
    »Möglicherweise werde ich zu ihnen gehen, zu gegebener Zeit, ich weiß nicht. Ich werde sehen, ob es zum Guten ist oder nur Furcht erzeugt. Ich möchte auf jeden Fall nur Gutes tun.«
    »Ich verdanke dir mein Leben, und nichts in meinem Leben ist mehr, wie es früher war. Ich werde deine Geschichte niederschreiben«, sagte ich. »Weißt du, was aus dir geworden ist?«
    »Ein Sohn Gottes?«, fragte er und lachte. »Ich weiß es nicht.
    Ich weiß nur eines, dass Zurvan Recht hatte, im Endeffekt gibt es nur einen Schöpfer, irgendwo jenseits des Lichts sah ich die Wahrheit dessen, und nur die Liebe und das Gute zählen.
    Nie wieder will ich mich von Zorn oder Hass verzehren lassen, so lang und so schwer mein Weg auch sein mag, es soll nie wieder geschehen. Denn ich muss nur eines tun: nach diesem einen Wort leben. Erinnerst du dich? Altashheth. Zerstöre nicht. Das allein würde genügen. Altashheth.«
    Er beugte sich nieder und küsste mich.
    »Wenn du meine Geschichte schreibst, habe keine
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