Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
neidischer, hasserfüllter Geister.
    Ich warf noch einen Blick zurück auf die Stufen. Dort standen sie alle versammelt, hatten die Arme umeinander gelegt, und Rachel hob die Hand und warf mir einen Kuss zu. Und Esther winkte auf eine ganz kindliche Art. Dann verblassten sie in dem übermächtigen Glanz. Mein Vater war zu reinem Licht geworden.
    Ich schaute in das Licht und ließ es in mich einfließen. Für den Bruchteil einer Sekunde besaß ich einen Schatz, einen Reichtum an Einsicht, ich war in Frieden mit allem - mit dem, was man mir angetan hatte, was ich selbst getan hatte, mit allem, was je geschehen war; und die Welt hatte für mich einen Sinn.
    Einen gänzlich erhabenen Sinn. Und die Millionen armer, hungernder, zorniger, kriegerischer Menschen - ich sah sie nicht als Parasiten, wie Gregory sie genannt hatte, sondern ich sah sie als Seelen!
    ›Nein‹, sagte ich zu den zornigen Geistern. ›Ich muss es tun.‹
    ›Geh, begib dich in Nathans Körper, belebe ihn noch einmal‹, sagte Zurvan zu mir, ›selbst wenn du dadurch alles verlierst.‹
    ›Asrael, meine Liebe begleitet dich!‹, weinte Nathan. Er verwandelte sich in ein helles Licht wie die anderen.
    Alles um mich wurde mit einem Mal schwarz. Ich spürte, wie ich hinabgesaugt wurde, als zöge mich eine starke mechani-sche Kraft, und plötzlich überrollte mich Schmerz. Meine Lungen, mein Herz, selbst alle Glieder schmerzten, und ich blinzelte in den Himmel, während einige Männer mich auf eine Trage legten, wie sie es mit Esther gemacht hatten.
    Ich rollte mich mit einer schlingernden Bewegung zur Seite, und alle starrten verwundert, und dann waren da keine Stufen mehr und kein Licht, nur das Tempelgebäude war da, und der kreischende Pöbel. Zuerst setzte ich mich auf, dann schob ich mich von der Trage. Die medizinischen Helfer traten in größter Verblüffung zurück. Ich wusste, warum. Die Wunden waren tödlich. Und nicht nur eine. Ich entdeckte die Kameras und winkte den Reportern, streckte ihnen die Hände entgegen.
    ›Ist jemand von der Regierung hier? Ein hoher Beamter! Umzingelt das Gebäude, durchsucht es auf der Stelle! Ein Betrü-
    ger hat meinen Platz eingenommen, er hat versucht, mich zu töten! Das ganze Haus quillt über von tödlichen Viren; und über die ganze Welt verstreut sind die »Tempel vom Geiste Gottes« bereit, Viren freizusetzen. Haltet sie auf! Ihr müsst in das neununddreißigste Stockwerk! Der Raum mit der Weltkarte ist es, dort steht der Betrüger, an die Wand genagelt! Beeilt euch! Ich erlaube euch ausdrücklich, den »Tempel vom Geiste Gottes« zu betreten. Nehmt Waffen mit!‹
    Ich sah mich um. Wohin mein Blick auch fiel, hatten die Menschen ihre kleinen Telefone gezückt, diese Apparate, deren unteres Ende man aufklappen kann, und brüllten in den Hörer.
    Polizei hastete auf das Gebäude zu. Sirenen heulten.
    ›Er ist ein Hochstapler, ein Betrüger‹, wiederholte ich. ›Er ist ein Doppelgänger, und er plant ein Ausmaß an Zerstörung, das man sich nicht vorstellen kann.‹
    Die Fernsehkameras richteten sich auf mich. ›Der »Tempel vom Geiste Gottes« muss in allen Ländern aufgehalten werden. Alle ihre Gebäude sind vollgestopft mit Giftgas und tödlichen Viren. Ihr müsst sie aufhalten, wo immer sie auch ihre Tempel haben, und hütet euch vor ihren Lügen! Hütet euch!
    Seht, was sie mir angetan haben, und ich lebe nur, um alles zu enthüllen.‹
    Ich merkte, dass ich schwächer wurde. Das Blut lief in pum-penden Stößen aus meinen Wunden. Mir war klar, dass ich erledigt war. Ich streckte die Hand aus und griff mir ein Mikrofon. Meine Stimme, gefärbt mit Nathans Tonfall, dröhnte mir selbst in den Ohren.
    ›Brüder vom Geiste, auf euren Führer ist geschossen worden, er ist hintergangen worden! Brüder, man hat euch unterwan-dert. Geht hinein in euren Tempel, vernichtet die Leute, die euch getäuscht haben!‹
    Ich stand kurz vor dem Zusammenbruch. Ich zog eine junge Frau zu mir heran, eine Reporterin, die mit ihrem Kamera-mann neben mir stand und jeden meiner Atemzüge aufzeich-nete.
    ›Bewaffnete Truppen! Leute, die sich mit tödlichen Seuchen befassen! Los, alarmiert sie! Weltweit! In jedem Tempel ist genug Stoff, um eine ganze Stadt zu vernichten, selbst diese hier!‹
    Verschwommen sah ich, wie sie sich von mir abwandte, aufgestört von meinen Worten. Ein Geschrei stieg auf wie bei einem Aufstand. Als ich mich umsah, fiel ich beinahe nieder, doch die Ärzte, die sich um mich versammelt hatten,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher