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Endstation Färöer

Endstation Färöer

Titel: Endstation Färöer
Autoren: Jógvan Isaksen
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aber dann war es weg, und ich wusste nicht, ob ich mich auf mein Gehör verlassen konnte. Das Blut pochte in meinem Kopf, die Lunge schmerzte und all das irritierte mich sehr.
    Wenn es nun der andere Zwilling war, wie sollte ich mich verteidigen? Ein Taschenmesser nützte nicht so furchtbar viel gegen eine Maschinenpistole. Nur eine andere Schusswaffe kam gegen eine MP an.
    Ich suchte mir einen schweren, spitzen Stein und war bereit zum Angriff.
    Lange stand ich hinter einem Felsbrocken und lauschte, aber jetzt war es vollkommen still. Nichts. Nur der Nebel und mein eigener Herzschlag. Es war schwer, den Stein in der erhobenen Hand zu halten, also legte ich ihn auf den Felsen.
    »Quien es? Günther?«, kam es von der anderen Seite des Felsens.
    Mein Herz schien stillzustehen, aber ich hob den spitzen Stein, und als die Hände mit der Maschinenpistole zum Vorschein kamen, schlug ich mit aller Kraft zu.
    Ein Schrei und die Pistole flog über den steilen Abhang in die Tiefe. Bevor Hans sich mir zuwenden konnte, hatte ich erneut Schwung geholt und traf ihn jetzt an der rechten Wange. Blut spritzte und er sank in sich zusammen und rollte und rutschte fast in Zeitlupe hinunter.
    Ich warf den Stein zu Boden und lief, wohin war ganz egal, nur weg hier, fort von dem Verrückten. Falls er nicht tot war, hatte ich schlechte Karten. Ich zog mich hinauf, fast kriechend, aber ich kam voran, wenn auch nur langsam. Der Berghang war jetzt so steil, dass etwas passieren musste, und als ich hochschaute, hatte ich einen Bergüberhang direkt vor mir.
    In der Stille, die eintrat, als ich stehen blieb, konnte ich rollende Steine und Stöhnen hören. Hier war keine Zeit zu verlieren, ich lief zu einer Spalte, die mit Moos und Gras bewachsen war. Die ersten Meter war es, als ginge ich eine Treppe hinauf, aber dann wurde der Spalt so eng, dass er nur noch wie eine Furche im Felsen erschien.
    Unter mir sah es aus wie immer, grau und pelzig, aber ich wusste, dass er mir auf den Fersen war. Die Finger bekamen Halt in Rissen, die Zehenspitzen auf Wurzeln und Rillen. Eine Handbreit nach der anderen, Fuß um Fuß ging es zum Kamm hinauf, der glücklicherweise nicht glatt war.
    Die Eisenringe um meine Handgelenke unterstützten nicht gerade die Fingerfertigkeit, aber hier half nichts anderes, als die Zähne zusammenzubeißen.
    Jetzt konnte ich ihn von unten hören, und mir schien, als könnte ich auch eine Gestalt im Nebel erkennen, und während ich um mein Leben lief, kamen mir ein paar Zeilen des Liedermachers Kári P. in den Kopf über ihn da unten, der ihn da oben da unten verbrennen will. Mit diesen Zeilen im Sinn kämpfte ich mich zum Berggipfel empor. Die Schwierigkeit war, sich über die Felskante hinaufzuziehen, das war leichter gesagt als getan. Ich wollte mich eigentlich lieber nicht darauf verlassen, dass das Gras halten würde, aber es gab nichts anderes, woran ich mich hätte festhalten können. Das war schlimmer, als aus dem Wasser in ein Boot zu kommen.
    Das Taschenmesser! Vorsichtig fischte ich es aus der Tasche heraus und öffnete es. Dann streckte ich mich, so weit ich es wagte, nach vorn und hieb es ins Gras. In dem Augenblick, als ich mich über die Kante ziehen wollte, umschloss etwas Festes, Schweres meinen rechten Knöchel.
    Der linke Fuß stand ziemlich sicher auf einem Vorsprung und die Hände hielten sich glücklicherweise an verwelktem Gras und dem Messer fest, aber die Kraft, die an den Beinen zog, wurde stärker. Ich versuchte, schräg nach hinten hinunterzusehen. Mir direkt zugewandt sah ich ein schmutziges, grinsendes Gesicht. Die Augen, hellblau, glänzten in besinnungsloser Wildheit, strahlend weiße Zähne und das ganze Gesicht strotzend vor Blut und Dreck.
    Er hing fest an meinem Bein, während seine linke Hand nach einem Halt suchte. Das konnte nur noch ein paar Sekunden gut gehen, und während ich darum flehte, dass das Gras mich halten würde, zog ich mein Taschenmesser heraus und stieß es, so fest ich konnte, in Hans’ Hand.
    Das Blut spritzte und er ließ los. Die andere Hand hatte noch keinen Halt gefunden und mit weit aufgerissenen Augen und einem Schrei verschwand er unten im Nebel. Es erklang ein dumpfer Aufprall und das Schreien hörte auf.
    Einige Sekunden lang drückte ich mich gegen den Fels und sammelte mich. Dann stach ich erneut das Taschenmesser in die Grasnarbe und zog mich hoch. Als ich es geschafft hatte, blieb ich kurz liegen, zwang mich dann aber, aufzustehen und weiterzugehen.
    Jetzt
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