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Endstation Färöer

Endstation Färöer

Titel: Endstation Färöer
Autoren: Jógvan Isaksen
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welchen Weg ich nehmen sollte, ich konnte nicht weiter als ein paar Meter in die graue Nässe hineinsehen und kannte ich Landschaft um mich herum überhaupt nicht. Ich wusste nur, dass es hier vielerorts sehr hoch war und nicht ganz ungefährlich, wenn man sich nicht auskannte.
    Tropfen liefen mir das Gesicht hinunter und in die Augen, es tropfte von der Nase und vom Kinn. Die Steppjacke bestand ihre Prüfung gut, aber die Hose war völlig durchnässt und um die Füße herum war ich klitschnass und total verdreckt. Mehrere Male war ich in Schlamm getreten, aber mit der Zeit verschwand die Grasnarbe und wurde durch Felsen und Kies ersetzt. Zunächst erschien das wie eine Erleichterung, doch das währte nur kurz und dann sehnte ich mich nach dem Gras zurück. Es war mühsam, und die Müdigkeit zeigte sich dadurch, dass ich mehrere Male fast gefallen wäre, die Beine forderten nach einer Rast und ich setzte mich auf einen Stein.
    Es war in keiner Weise angenehm, so erschöpft und nass auf einem Felsen in einem steilen Terrain zu sitzen, das ich nicht kannte. Im Augenblick zählte ich die beiden Mörder nicht zu den Gefahren, denn ich ging davon aus, dass sie den anderen Weg nahmen. Ich kannte nicht einmal die Namen der Berge. In der Schule mussten wir sie auswendig lernen und auf einer unbeschrifteten Karte der Färöer zeigen können. Mylingur konnte ich noch erinnern und dann war da einer mit einem merkwürdigen Namen, den ich mir nie merken konnte, und Húgvan und Melin. Warum konnten die Leute in Norøstreymoy ihren Bergen nicht ordentliche Bergnamen geben? Mylingur war nicht so schlecht, aber die beiden anderen klangen kindisch aufgeblasen.
    Feuchtes Wetter trägt die Töne weit und ich glaubte eine Männerstimme zu hören. Ich war mir nicht ganz sicher, ging aber lieber weiter. Zwischendurch stand ich vollkommen still und lauschte, aber es war nichts zu hören. Ich verließ den Bach, von dem sowieso nicht mehr viel übrig war, und versuchte stattdessen, mich auf dieser Höhe des Gebirges zu halten. Hoffentlich stieß ich bald auf eine Schlucht oder Ähnliches, damit ich auf die andere Seite kommen konnte, aber das Dumme dabei war, dass ich nicht wusste, ob ich weit genug gekommen war. Eine Möglichkeit wäre, um den Berg herumzugehen, wenn mich das nur nicht schnurstracks ins Meer führen würde. Erst mal ging ich einfach weiter und versuchte, gar nichts zu denken.
    In dichtem Nebel oder Regenwolken ist der Gesichtskreis stark eingeschränkt und alles verändert sein Aussehen, wirkt unheimlich und bedrohlich. In bebautem Gebiet, zwischen Häusern, hat das nur psychische Folgen, man fühlt sich eingeschlossen und im Extremfall kurz vor dem Ersticken, aber die konkrete Gefahr hat der Mensch eliminiert. In unbekanntem Gebirge kann jeder Fußtritt bei diesem Wetter Gefahr bedeuten. Man weiß nicht, wo man ist und wo der Weg hinführt, und außerdem merkt man nicht, ob man vorankommt. Man geht und geht, aber die Umgebung ist gleich bleibend monoton, alles sieht ähnlich aus. Das Terrain ist grasbewachsen oder steinig, steil oder eben, darüber hinaus gibt es keine Anhaltspunkte. Zeitweise glaubt man, nicht länger auf dieser Welt, sondern in einen unangenehmen Limbus entrückt zu sein, in dem man auf ewig gehen und das schwere russische Gewehr tragen muss.
    Der Abhang, den ich jetzt entlangging, war sehr steil, das Gras nass. Ich fühlte, wie sich mein Magen zusammenschnürte und die Angst auszurutschen sich schwer auf mich legte. Es machte mir nichts aus, über einem Abgrund zu hängen und mehrere hundert Meter ins Meer hinabzuschauen oder aufs Hausdach zu klettern und zu malen, aber einen steilen Abhang über dem Meer entlangzugehen, das gefiel mir nicht. Ich hatte die ganze Zeit Angst, den Halt zu verlieren, über die Felskante zu stürzen und ins Bodenlose zu fallen.
    Das Ganze hier war, als ginge ich in einem kleinen Zimmer, das sich die ganze Zeit mit mir fortbewegte. Wie groß war dieser Raum? Die Gedanken waren vage und schweiften ab. Wenn der Radius zwei Meter beträgt, so ist der Flächeninhalt Radius im Quadrat mal Pi. Das heißt, 4 mal 22 sind 88, geteilt durch 7 macht ungefähr 12,5, nein, eher 12,6.
    Eine Weile hatte ich das Gewehr auf dem Rücken getragen, aber es war so lang, dass mir der Gewehrkolben die ganze Zeit gegen die Kniekehlen schlug. Jetzt trug ich es mit beiden Händen. Seit ich meinte, Stimmen gehört zu haben, war es entsichert. Hier durfte nicht gezögert werden.
    Hier herrscht Schweigen,
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