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Endstadium

Endstadium

Titel: Endstadium
Autoren: Gmeiner-Verlag
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seichten Wellen gegen das Land. Das Wasser ergoss sich über die rund geschliffenen Steine, mahlte sie und rieb sie aneinander. Es war ein tiefes schürfendes, monotones und einschläferndes Geräusch. Als die Sonne unterging, machten sie sich auf den Rückweg.
    Sie fuhren langsam durch das Tal zurück in die Höhe. Am Horizont flohen dunkle Wolken durch den Abendhimmel. Ein häufiges Schauspiel auf den Kanaren. Die Wolken trugen nur selten Regen mit sich. Sie huschten vorbei wie eine drohende Kulisse. Weit oben erreichten Marie und Stephan den Ort Tasarte. Die Reklame des Spar-Supermarktes hob sich grell leuchtend vom dunklen Himmel ab.
    »Eine Flasche Wein für heute Abend?«, schlug Stephan vor.
    Sie stiegen aus. Im Supermarkt war es kühl. Die Leuchtstoffröhren an der Decke tauchten die Verkaufsgondeln in kaltes Licht. Die Klimaanlage und die Kühlaggregate in den Truhen surrten. Außer ihnen war nur die Kassiererin im Laden. Es roch nach Obst, Käse und süßem Gebäck. Eine irreale Alltäglichkeit.
    Marie blieb bei den Haushaltsartikeln stehen.
    »Hast du schon einmal so große Küchenrollen gesehen? – Sie haben fast den dreifachen Umfang wie bei uns.«
    Er schüttelte den Kopf. Sofort hämmerte wieder der Schmerz.
    »Ich nehme sie als Erinnerungsstück mit«, lachte sie.
    »Was sollen wir mit diesem Monstrum?«
    Aber sie beharrte darauf, die Rolle mitzunehmen.
    Er wählte einen trockenen Rotwein aus. Sie legten die Küchenrolle und die Rotweinflasche auf das Transportband an der Kasse. Er nahm noch einen einfachen Flaschenöffner aus einem Warenständer an der Kasse und legte ihn dazu.
     
    Dann fuhren sie die Serpentinen hinauf bis zur Einmündung in die Hauptstraße. Die Bushaltestelle lag verlassen da. Marie bat anzuhalten. Stephan lenkte den Wagen in die Haltebucht. Sie setzten sich in das Wartehäuschen. Der üble Geruch stach in ihre Nasen. In dem hölzernen Verschlag war es unangenehm und widerlich, aber das Häuschen gebot Einhalt. Der Begriff der Haltestelle gewann eine neue Bedeutung. Marie und Stephan blickten von der Holzbank aus über die Straße hinweg in das unten liegende Tal. Im Hintergrund schimmerte der Atlantik rot im Licht der untergehenden Sonne.
    Stephan öffnete die Flasche und nahm einen kleinen Schluck daraus. Dann reichte er ihr den Wein. Sie feierten still den glücklichen Ausgang. Marie nahm irgendwann die Küchenrolle, entfernte die Zellophanfolie, legte die Rolle auf den Boden und trat sie wie einen Fußball. Die Rolle sprang verspielt hoch, fiel auf die Straße zurück, begann sich zu entrollen, hüpfte und schoss über den Straßenrand, bis sie aus ihren Blicken verschwand. Sie standen auf, rannten über die Straße und schauten der Rolle nach. Sie sprang den Hang hinab, überwand zitternd eine Felsnase, wirbelte durch die Luft, fiel etliche Meter tief, verschwand für Augenblicke und wurde wieder sichtbar. Sie tanzte das Tal hinab, bis sie ihren Blicken entschwunden war.
    »Die Rolle bleibt in Tasarte«, sagte Marie und nahm Stephan fest in den Arm.
    Sein Kopfschmerz quälte.
    »Lass uns eine Weile bleiben!«, schlug er vor.
    Sie saßen still nebeneinander. Hin und wieder fuhr ein Auto vorbei. Ansonsten pfiff der stärker werdende Wind um den Verschlag. Die Dunkelheit brach herein.
    »Irgendetwas stimmt nicht«, sagte Marie, als sie wieder in das Auto stiegen. »Warum lügt uns Frau Rosell vor, ihr Mann sei schon verstorben? Und warum sperren uns die beiden ein und beginnen, sich nachweisbar strafbar zu machen? Sie hätten doch nichts zu befürchten gehabt. Es wird niemals zu beweisen sein, dass Hobbeling seinen Patienten Rosell vorsätzlich nicht behandelt hat, als er nach dem ersten Röntgenbild die Diagnose hätte stellen können.«
    Stephan lenkte das Auto langsam durch die Kurven. Um sie herum lag tiefe Dunkelheit. Es gab keine Häuser, keine Lampen und nicht einmal Leitpfosten am Straßenrand. Die Straße bog im Lichtkegel der Autoscheinwerfer unversehens mal nach rechts und mal nach links ab. Die Fahrt war für Unkundige gefährlich. Dazu hämmerte nach wie vor der Kopfschmerz. Sie hielten mehrfach an und entspannten für einige Minuten. Spätabends kamen sie im Villa del Conde an. Sie erklärten der Rezeptionistin, dass sie ihre Schlüsselkarte verloren hätten, und erhielten eine neue. Ihr Zimmer war unberührt. Offensichtlich war Stephans Anruf im Hotel rechtzeitig vor der Ankunft von Julita Rosell und Jens Hobbeling erfolgt.
    »Die beiden suchen die Vollmacht«,
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