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Endlich wieder leben

Endlich wieder leben

Titel: Endlich wieder leben
Autoren: Helga Hirsch
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die Füße guckten ein Stück unter der Decke hervor. »Who is this man ?«, erregte sich die Frau und holte sofort die Military Police , denn die ganze Mädchenetage war off limits , absolut verboten für jeden Besuch.
    Es gab mächtig Stunk. Na ja, da flog ich raus. Aber ich bin wieder zur Vermittlungszentrale gegangen und habe mir eine neue Arbeit geben lassen.
    An der Sundgauer Straße waren gerade neue Hochhäuser für die Amerikaner gebaut worden. Da lag mein Zimmer auf ebener Erde. Die Häuser waren wie ein Kleeblatt gebaut, so dass man sie von verschiedenen Seiten betreten konnte. Das fand ich natürlich toll. Im äußersten Fall hätte Toby so aus dem Fenster springen können. Aber auch in der Sundgauer Straße gab ich nur ein kurzes Gastspiel. Wieder flog ich wegen Toby raus. Das war alles völlig absurd. Denn meine Misses dort war erst achtzehn Jahre alt, noch jünger als ich. Aber eben verheiratet.
    Wenn Toby den Vorstellungen meines Vaters entsprochen hätte, hätte er zu uns nach Hause kommen können. Dann hätten wir uns verlobt und wären den bürgerlichen Weg gegangen. Allerdings fanden
wir verloben schrecklich langweilig. Wer hat sich denn verlobt? Die Spießer.
    Ich fand das toll, wie wir zusammenlebten. Ich wollte nicht heiraten. Bevor wir 1968 dann doch noch geheiratet haben, hat Toby mindestens drei Mal unter Zeugen um meine Hand angehalten. Und drei Mal habe ich nein gesagt. Wir zahlten allerdings dafür, dass wir die Normen nicht einhielten. Erst 1960 erhielten wir die Gelegenheit, gemeinsam in eine große Altbauwohnung in der Rankestraße zu ziehen. Von da an haben wir uns bis zu seinem Tod 1992 nicht mehr getrennt.
    Der Begriff Wohngemeinschaft existierte noch nicht, aber faktisch haben wir eine der ersten Wohngemeinschaften gebildet. Toby und ich erhielten das Berliner Zimmer, neben uns wohnte der Sohn eines Ledergrossisten, ein anderes Zimmer hatte ein junger Mann gemietet, der gerade sein Abitur gemacht hatte. Und hinten lebte Jimmy Jimson, Sohn einer Puerto-Ricanerin und eines deutschen Seemannes, ein verrückter Sänger, der mit Swing in der »Badewanne« auftrat.
    Endlich wurde ich 21.
    Doch nun hatten wir ein anderes Problem. Tobys Boheme-Leben und meine MTA-Ausbildung ließen sich überhaupt nicht mehr miteinander vereinbaren. Schon vorher war es immer wieder zu Konflikten gekommen. Wenn ich nach meiner Arbeit zu Tobys Auftritten ging, kam ich immer erst gegen Morgen nach Hause und hatte auch was getrunken. Eine Weile lief das gut, dann ging es schief.
    Einmal hatte ich etwa zwanzig Patienten zum Blutabnehmen bestellt. Am Abend zuvor war ich mit Toby nach seinem Auftritt aber noch in das »Recreation Center« für amerikanische Offiziere gefahren, eine große Villa mit Bootsanlegestelle am Wannsee. Toby hatte gesungen und an einem wunderschönen großen Flügel in der Halle gespielt, die Offiziere waren begeistert gewesen, die Kellner hatten die wahnsinnigsten Getränke ausgeschenkt – alles vom Feinsten  –, und ich hatte »Four Roses« getrunken, einen Bourbon-Whiskey, den ich damals sehr gern mochte. Zu sehr später Stunde war uns
ein Dienstzimmer zum Übernachten zur Verfügung gestellt worden, doch ohne Wecker hatten wir voll verschlafen. Zwanzig Patienten warteten vergeblich in der Praxis. Ich machte, was fast alle in ähnlichen Situationen machen: Ich spielte krank.
    Meine Internistin mochte mich, und sie schätzte mich. Beim ersten Mal hat sie nichts gesagt, als ich nicht kam. Beim zweiten Mal hat sie es nicht mehr hingenommen. Als ich am Nachmittag auftauchte, erklärte sie: »Ich bedaure es auf das Äußerste, aber wenn Ihnen das Boheme-Leben so viel bedeutet, ist das unvereinbar mit der Arbeit in meiner Praxis.« Sie stellte mir noch ein Superzeugnis aus und weinte sogar, als ich ging. Aber für mich war endgültig klar geworden: Ich suche keine neue Arbeit als medizinisch-technische Assistentin mehr.
    Stattdessen stieg auch ich ins Nachtleben ein.
    Gemeinsam begannen wir in dem legendären Nachtclub »Old Eden« in der Damaschkestraße. Rolf Eden, der Besitzer des Nachtclubs, war bei Hitlers Machtantritt mit seinen Eltern nach Palästina ausgewandert, hatte dort im israelischen Unabhängigkeitskampf in der Palmach gekämpft und war 1957 nach Berlin zurückgekehrt. Toby spielte und sang bei ihm Jazz und Blues, ich arbeitete an einer kleinen Dreiecksbar.
    Eden hatte ein tolles Konzept: Mädchen, die allein kamen, erhielten ihre Getränke umsonst. So war die Hütte immer
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