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Endithors Tochter

Titel: Endithors Tochter
Autoren: David C. Smith & Richard L. Tierney
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Sonja hob eine Braue. »Nun – eine Zeitlang, zumindest«, fügte er hinzu.
    Lera lachte.
    »Und was ist mir dir, Lera?« fragte Sonja. »Keine Narben?«
    »Mehr als eine, Sonja.« Sie schmiegte sich an Chost und legte den Kopf an seine Schulter. »Aber es hat mir auch Gutes gebracht.«
    »Sie braucht nie wieder Leibmagd zu sein. Das verspreche ich! Und wenn ich wirklich genug der Ehrlichkeit kriegen sollte, dann werde ich Geschäfte in großem Stil betreiben. Und wenn ich eines Tages nach Shadizar zurückkehre, dann bestimmt nicht als Bettler und Dieb, sondern mit viel Geld, um allen zu helfen, die mir hier Freunde waren.«
    Sonja lächelte. »Ich wünsche dir, dass es so kommt, Chost. Doch bis dahin ist noch viel Zeit.« Sie blickte die beiden an. »Es ist fast Mittag. Bevor ich die Stadt verlasse, darfst du mir noch ein Essen spendieren, Chost – für all das Brot und den Käse, den du verschlungen hast.«
     
    Mit einem Beutel voll Gold, den Staub Shadizars abgewaschen, das Kettenhemd geputzt und die Waffen glänzend, ritt sie an diesem Abend aus der Stadt. Sie wartete nicht auf die Karawane, für die sie sich als Wächterin eingeschrieben hatte. Das würde bedeuten, Shadizar in der Gesellschaft Shadizars zu verlassen. Und einer der Vorteile, allein zu sein, war die Freiheit fortzureiten, wenn getan war, was sie für richtig gehalten hatte, und zurückzulassen, was geschehen war – um eine gewisse Distanz zwischen sich und ihre Erinnerungen zu legen.
    Sie wandte sich südwestwärts, folgte einer vielberittenen Straße, die sie bereits von früher kannte. Sehr weit kam sie in dieser Nacht nicht, denn es fing leicht zu regnen an, und sie war müde von der langen schlaflosen Nacht in Lord Nalors Haus und der folgenden Vernehmung vor dem Ausschuss. Am nächsten Gasthaus hielt sie an, versorgte erst ihr Pferd, ehe sie in die Wirtsstube trat und sich etwas zu essen bestellte.
    Während sie aß, schaute sie sich um, und so manches in der Schenke erinnerte sie an die vergangene Woche. Sie fragte sich, ob es ihr wohl gelingen würde zu vergessen, was in Shadizar geschehen war.
    In einer Ecke warfen Männer Messer auf die Zielscheibe – einer von ihnen so jung und fröhlich wie Sendes. Auch ein hochgewachsener, hagerer Mann in dunklem Gewand war da – ein Gelehrter, kein Hexer, aber auch von ihm ging etwas Geheimnisvolles aus.
    Und an einem Tisch saßen eine kräftige rothaarige Frau und ein junger Mann mit sandfarbenem Haar. Nicht sie, nicht Chost – und doch brachte der Anblick das Bild des schlafenden Jungen in ihrer Stube in dem heruntergekommenen Mietshaus vor ihr inneres Auge.
    Sie kaufte sich eine zweite Flasche Wein, nahm sie mit in ihre Kammer im ersten Stock, setzte sich auf das Bett und trank langsam, während das Geklimpere des Lautenspielers und sein Gesang aus der Schenke bis zu ihr hochklang.
    Seit sie erwachsen war, hatte Sonja sich nicht mehr in den Schlaf geweint, aber heute war sie nahe daran. Als der Wein und ihre Erschöpfung sie überwältigten, träumte sie von Hyrkanien – von ihren Eltern und Brüdern, dem kleinen Anwesen, den rothaarigen Menschen, den schönen Zeiten, dem fröhlichen Lachen, den Liedern, den Hoffnungen und Wünschen …
    Und in ihren Träumen sah sie sich wieder als junges Mädchen von Leras Alter, das glücklich und geborgen im Schoß der Familie gewesen war.
    Sie weinte – aber sie war glücklich und zufrieden: eine junge Frau mit angenehmen Träumen.
    Wie vielen Wegen würde sie noch folgen, ehe sie wieder Geborgenheit fand – sie mit dem Schwert, das schwerer auf ihre Seele drückte als jeder Fluch, mit dem ein Gott einen sterbenden Vampir belegen könnte.

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