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Endithors Tochter

Titel: Endithors Tochter
Autoren: David C. Smith & Richard L. Tierney
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Mühe ist sinnlos. Ich werde wieder auferstehen, aus dem Staub, wie schon einmal zuvor …«
    Sonja hob eine Braue. Kus schien geschwächt zu sein. Er hatte die ganze Nacht kein Blut bekommen. Begann er den Verstand zu verlieren?
    »Ich bin der Gott der dunklen Wälder«, hauchte er. Er schloss die Augen und lehnte den Kopf an die Wand. »Wisst ihr, wie viele Leben durch mich flossen? Ich habe ganze Stämme, ja Nationen ausgesaugt. Und doch leben sie weiter – wie der Regen, wie die Pflanzen, wie alles, das wächst – mit neuem Leben, neuem Blut …«
    »Warum?« schrie er plötzlich mit offenen Augen, die rot und voll von Hass waren. »Warum? Warum sollt ihr unbedeutenden, kurzlebigen Kreaturen leben und in Unwissenheit sterben, während die Götter mich verdammen? Ihr ahnt ja nichts von dem Wissen, der Weisheit …«
    Er versuchte sich aufzurichten und erneut nach Sonjas Klinge zu greifen. Ein Wächter stach mit dem Eisenspeer nach ihm. Kus schrie gellend, fiel zurück, schlug mit den Beinen um sich und klatschte die versengten Hände auf den Boden. Doch dann lachte er aus vollem Hals.
    Er öffnete die Augen weiter. Ihr Glühen wirkte stumpfer. »Ihr braucht mich«, zischte er, dabei blickte er Sonja und alle anderen an. »Wisst ihr nicht, wer ich bin? Ich bin das Böse, das ihr in euch ablehnt. Was werdet ihr ohne mich tun? Wenn ihr mich nicht mehr zum Hassen habt, werdet ihr erkennen, wie hassenswert ihr selbst seid. Euer Leben wird sinnlos werden. Was nutzen euch eure Götter, wenn ihr mich vernichtet? Sie werden euch, auf eure eigene Weise verdammen. Menschen! Würmer! Ihr lebt kein wahres Leben! Schatten seid ihr, nicht mehr – grau und ohne Bedeutung, so vergänglich wie der Nebel. Ich allein könnte euch wahres Leben geben!« Und dann mit völlig anderer Stimme, wimmernd fast: »Tötet mich jetzt! Im Namen Ordrus und Semrogs, verdammt, tötet mich jetzt! Jetzt! Setzt mich nicht dem Sonnenlicht aus! Setzt mich nicht dem Sonnenschein aus!«
     
    Sonja blickte hoch. Ihre Beine fühlten sich bleiern vom langen Stehen, ihre Arme genauso, ihr Rücken schmerzte, ihre Augen brannten, und sie war kaum noch fähig, klar zu denken.
    Es war grau vor dem Fenster.
    In der Stadt kündeten die Tempelgongs das Kommen des neuen Tages an. Irgendwo in Nalors Garten krähten Hähne dem Morgen entgegen.
    Kus erschauderte. Er wollte aufstehen, wurde jedoch zurückgedrängt. Sein Gesicht – zum Teil versengt, mit Brandblasen, offenen Wunden und schwarzen Flecken – zitterte wie Espenlaub. »Versteckt mich!« schrillte er. »Lasst mich nicht im Sonnenlicht sterben! Helft mir in Ordrus Namen!«
    Noch fester umklammerten die Wächter ihre Speere und Schwerter. Wer nicht bereits Kus bewachte, kam nun näher. Zwei Dutzend etwa stiegen auf das Podest und stellten sich auf die Stufen, um auf Kus hinunterschauen zu können.
    Das Grau des Morgens wurde heller. Stiefelsohlen scharrten nervös auf dem Boden. Chost fühlte Leras Puls.
    »Lasst mich nicht sterben!« schrie Kus. »Ich bin kein Sterblicher – ihr wisst ja nicht, welch ein Leben ihr vernichtet! Ihr wisst nichts von mir und doch seid ihr ich! Lasst mich nicht ste-e-e-e-erben!«
    Heller wurde es vor dem Fenster und allmählich auch im Gemach. Mit fast feierlichem Ernst flüsterte Sonja: »Tretet nun alle zurück – alle …«
    Kus stand schwerfällig auf, duckte sich wie zu einem Verzweiflungssprung. Seine Augen, aus denen das gelbe Leuchten verschwunden war, wiesen nun kleine graue, im Weiß schwimmende Pupillen auf. Seine Füße verkrampften sich auf den Fliesen, und mit den schmalen Händen wollte er sich an der Wand festkrallen.
    Ein breiter Strahl goldenen Sonnenlichts fiel durch das Fenster und zauberte ein verschwommenes Rechteck auf den Boden in der Nähe der gegenüberliegenden Wand.
    Kus keuchte würgend nach Luft. »Lasst mich nicht …«
    Dann sackte er langsam zusammen, zitternd, sich windend und zischend – fast wie eine sterbende Schlange. Etwas wie Dunst stieg von ihm auf.
    Sonja holte tief Luft. »Tretet zurück! Tretet zurück, habe ich gesagt!«
    Jene, die die Neugier noch neben ihr gehalten hatte, gehorchten nun, und Sonja ging dichter an Kus heran. Mit dem Schwert deutete sie auf Kus’ Brust, dann stieß sie die Klinge hinein. Sie spürte wenig Widerstand, es war fast, als dränge sie in einen Sack mit Stroh.
    Nun zwang sie Kus aus der Nische. Er zischte und röchelte, als wäre er zu schwach zu schreien, und wich vor dem Schwert, das Sonja wieder
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