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Endithors Tochter

Titel: Endithors Tochter
Autoren: David C. Smith & Richard L. Tierney
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sich auf dem Schlachtfeld umgesehen.
    Gewiss war es die Unterwelt – dieses Schlachtfeld mit den unzähligen Toten, die gespenstisch im silbernen und blauen Schein des Vollmonds schimmerten; die reglosen Leichen, über die der Wind pfiff und an denen sich Meuten unter- oder halbmenschlicher Wesen wispernd, leckend, saugend zu schaffen machten …
    Die ganze Nacht war er umhergeirrt und die neuartigen Gefühle waren in ihm gewachsen. Er hatte sie für üblichen Hunger gehalten und Dörrfleisch gegessen, das er in dem Beutel eines Gefallenen gefunden hatte – aber er musste sich sofort übergeben.
    Danach dachte er, Durst quäle ihn. Er hatte versucht den Wassersack eines Soldaten zu öffnen. Doch sofort hatte ein Instinkt ihn gezwungen, den Sack ungeöffnet von sich zu werfen und statt dessen nach dem Kopf des Toten zu greifen und ihn so zu drehen, dass er an die Kehle herankam. Dann hatte er in das Fleisch gebissen, hatte gespürt, wie das salzige, würzige Blut seine Kehle hinabrann und ihn langsam füllte, bis er sich aufgedunsen wie ein Blutegel vorkam, wie eine menschliche Zecke, voll des roten Lebensweines von Leichen …
    Und beim ersten Grau des Morgens hatten Schmerzen ihn gepeinigt, die weit größer waren denn die, als das Schwert des Feindes ihm im Todesstoß in den Bauch gedrungen war.
    Ein nur schwaches Grau war es gewesen, keineswegs ein verirrter Sonnenstrahl, bloß das erste Dämmern des kommenden Morgens, das durch den Nebel über dem Schlachtfeld keine Kraft hatte. Und doch hatte es sein kaltes Fleisch fast verbrannt!
    Aus Furcht vor dem Nichtsein, wie er sich sein ganzes erstes Leben nie vor dem Tod gefürchtet hatte, rannte er, bis er mit anderen Geschöpfen der Nacht Zuflucht in einer Höhle gefunden hatte.
    Als die Sonne aufging, war er irgendwie in sich selbst versunken …
    Und des Abends mit einem beunruhigenden Gefühl der Erschöpfung und des Verlangens erwacht – als Blutegel mit unheiligem Appetit und Verstand: ein Vampir mit Gehirn und Gefühlen.
    Nun war er eine Kreatur der Finsternis.
    Er wusste, dass er tot war – zwar belebt, doch wirklich tot –, als er keine Farben mehr erkannte. Die Toten sehen keine Farben, für sie besteht die Welt nur aus Grautönen.
    Selbst das Blut, das ihn zum Untoten machte, war nicht von leuchtendem Rot, sondern wie eine schwarze Flut, schwarz wie brackiger Mitternachtssumpf im Mondschein …
     
    Er erwachte aus dieser Erinnerung, dieser Vision, diesem Traum, und dürstete erneut nach dem schwarzen Blut.
    Er watete durch die schmutzigen Abwässer der Stadt, bis er zu einem Gully kam. Er hob den Gitterdeckel hoch, schob ihn zur Seite und kroch hinaus. Mit dem Fuß stieß er den Deckel zurück und stand stumm in der Düsternis der leeren Straße, während der Mond aufging.
    Er hob den Kopf, schloss kurz die Augen, sah so, wohin er gehen musste, und öffnete sie wieder.
    Das Haus, in dem die Rote Sonja wohnte, war nur eine Gasse entfernt.
    So fest und schnell Kus’ Schritte auch waren, sie verursachten nicht das geringste Geräusch auf dem Kopfsteinpflaster.
    »Jetzt?« fragte Areel wispernd Sonja.
    »Ja, jetzt!« Sonja drehte den Schlüssel im Schloss und öffnete die Tür. Sie trat in das nun leere Gemach, dichtauf gefolgt von Areel. Klickend verschloss die Tür sich hinter ihnen ohne ihr Zutun.
    Stille. Dunkelheit.
    Kus war nicht erschienen. Erst vor einer kurzen Weile hatten die Wächter Lord Nalors Leiche weggetragen – vermutlich, um sie zur Bestattung herzurichten, dachte Sonja. Sie schaute sich um, ihre Augen waren nun an die Dunkelheit gewöhnt. Außer der schmalen Tür, durch die sie gekommen waren, hatte das Gemach zwei Ausgänge. Einer führte auf den Korridor, durch den die Wächter gekommen und gegangen waren; der zweite an der gegenüberliegenden Wand mochte ihnen vielleicht helfen, unbemerkt fortzugelangen.
    »Komm, Areel. Und mach dich bereit, falls wir deine Zauberkräfte brauchen …«
    Die Tür war verschlossen, aber der vierte Schlüssel am. Ring öffnete sie. Sie führte nicht auf einen weiteren Geheimgang, sondern in ein Badegemach. Das große Becken war leer und die Fackeln an den Wänden nicht angezündet.
    Sich dicht an der Wand haltend, schlich Sonja voraus. Sie hatte keine Ahnung, wie sie von hier aus dem Haus kommen konnten, und überlegte sich, welche Richtung sie einschlagen sollten …
    Plötzlich blieb sie stehen.
    »Was ist los?« wisperte Areel.
    »Horch!«
    Eine Tür ihnen gegenüber schwang auf. Fackelschein fiel
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