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Ende (German Edition)

Ende (German Edition)

Titel: Ende (German Edition)
Autoren: David Monteagudo
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lässt, eigentlich kenne ich diese Person schon seit Jahren, es ist eine Nachbarin, gegrüßt haben wir uns schon immer, aber jetzt hat sie mir zu verstehen gegeben, in Worten und in Taten, dass ich ihr etwas bedeute, jedenfalls habe ich es so verstanden, in ein paar Tagen wollen wir zusammen ins Kino gehen. Sie ist sehr attraktiv, sehr sexy …› Er schreibt wirklich so, unglaublich! ‹noch sind wir uns nicht körperlich näher gekommen, aber …› Und so weiter.»
    Eva verstummt, als sie den Blick hebt. Ihr sarkastisches Lächeln erstirbt wie ein zusammengedrücktes Kissen, das wieder seine ursprüngliche Form annimmt, als wären die unsichtbaren Fäden, an denen ihre Gesichtszüge hängen, plötzlich durchtrennt worden, ohne der Haut Zeit zu lassen, sich in Ruheposition zu begeben. Ginés ist nicht mehr da. Beim Vorlesen hat sie mehrmals zu ihm aufgeschaut, das vorletzte Mal vor einigen Sekunden, um ihren Kommentar zu dem Wort ‹sexy› abzugeben, aber nach einem weiteren Satz ist ihr Blick ins Leere gegangen. Da, wo gerade noch Ginés war, ist jetzt nur noch die Landschaft.
    Eva will es nicht wahrhaben, sie schüttelt den Kopf, beginnt ängstlich zu stöhnen. Noch hat sie die Hoffnung nicht aufgegeben, rennt wie eine Irre um das Auto herum, bückt sich, sieht auch unter dem Wagen nach. Aber das letzte bisschen Hoffnung ist schnell verflogen: Um das Auto herum wächst kein Baum und kein Strauch, und niemand kann eine hundert Meter lange Steigung in drei Sekunden zurücklegen.
    Eva geht einige Male um das Fahrzeug herum, als hätten sich ihre Beine verselbständigt.
    «Nein, bitte nicht, nicht jetzt!», jammert sie. «Tu mir das nicht an! Ich habe dich geliebt! Ich habe dich doch geliebt! Ich hätte dir verziehen. Das kannst du mir nicht antun!»
    Sie bleibt stehen und hält sich die Hände vors Gesicht. Einen Augenblick lang steht sie stumm da, dann stößt sie einen Schrei aus, der als Stöhnen beginnt, anschwillt und von einer animalischen Wucht erstickt wird.
    In der weiten, mit kleinen Büschen bewachsenen Landschaft hallt der Schrei nicht nach. Stille tritt ein, die düstere, hartnäckige Stille der unbewohnten Natur. Langsam nimmt Eva die Hände vom Gesicht, steht einen Moment lang da, mit starrem, glasigem Blick. Neben ihr erstrahlt, als wäre nichts geschehen, das Auto im Morgenlicht, darin – steif, gleichgültig, allem entrückt – der Fahrer.
    Jetzt werden die Geräusche hörbar, die diese Stille bevölkern: ein Summen, das immer wieder aussetzt. Es sind die Fliegen, die im Auto umherschwirren. Plötzlich stürzt sich Eva auf die Pistole, die noch auf der Motorhaube liegt.
    Eva steht neben dem Auto und atmet heftig aus und ein. Sie öffnet den Mund, richtet zitternd den Lauf der Pistole darauf, steckt ihn einige Zentimeter weit hinein. Sie schließt ihre Lippen darum, achtet darauf, ihn nicht mit ihren Zähnen zu berühren. Sie macht die Augen zu, sanft, atmet fast entspannt aus. Dann kneift sie sie fest zusammen, spannt ihre Gesichtszüge, umfasst den Lauf, legt den Daumen auf den Abzug, verändert ein letztes Mal die Position der Waffe, richtet den Lauf stärker nach oben, hin zum Gaumen. Einige Sekunden lang steht sie so da, leicht zitternd, wegen der angespannten Muskeln, wegen des schrecklichen Kampfes, der in ihrem Kopf tobt.
    Schließlich löst sich die Spannung, der Mund öffnet sich, die Pistole verlässt ihn langsam, sinkt, als wäre sie plötzlich schwerer geworden, bis sie schließlich reglos herabhängt, auf Höhe der Oberschenkel, an nutzlosen Fingern, die zu keiner Anstrengung mehr fähig sind.
    Mit geschlossenen Augen beginnt Eva still zu weinen, ihre Schultern zucken, zucken immer schneller, ihr Gesicht verzerrt sich kindlich. Unaufhaltsam rinnt ihr ein anschwellender Tränenstrom das Gesicht hinab.

[zur Inhaltsübersicht]
    Eva
    D ie Autobahn ist eine endlose, sanft bergauf führende Gerade, gesäumt von gepflegtem Grün und den Büro- und Wohngebäuden der ersten Vorstädte. Die weißen Fahrbahnstreifen laufen in der Ferne zusammen, auf einer Kuppe, die in der glühenden Mittagssonne flimmert, als brenne ein durchsichtiges Feuer am Horizont. Aber es wirkt nur knapp über dem Asphalt so, darüber ist die Luft klar, nicht verschmutzt, die Häuserblocks und Berge sind gestochen scharf zu erkennen, in allen Details und in allen Farben. Es ist so still, dass man den Eindruck hat, ein Foto zu betrachten, ein Standbild. In dieser dichten, einlullenden, nur gelegentlich von einer
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