Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ende (German Edition)

Ende (German Edition)

Titel: Ende (German Edition)
Autoren: David Monteagudo
Vom Netzwerk:
und geht wieder um das Auto herum, diesmal in aller Ruhe, und wedelt provozierend mit dem Brief. «Er war unterwegs zur Party und ist noch mal die Rede durchgegangen, die er vorbereitet hatte. Er wäre sogar pünktlich gekommen, aber dann hat dieser Idiot einen Unfall gebaut, wahrscheinlich weil er beim Fahren gelesen hat.»
    «Pünktlich? Das kann nicht sein. Der Stromausfall war viel später.»
    «Er ist nicht beim Stromausfall gestorben, sondern vorher. Deshalb ist er auch nicht verschwunden. Wir haben den ersten Menschen entdeckt, der vor dem Stromausfall gestorben ist, und das kann nur bedeuten, dass es noch mehr Tote geben muss, dass Tote nicht verschwinden.»
    «Das kann nicht sein. Woher willst du wissen, wann …»
    «Die Scheinwerfer waren aus, Ginés. Niemand fährt nachts um eins ohne Licht durch die Gegend, schon gar nicht, wenn er in der Pampa unterwegs ist.»
    «Die Scheinwerfer waren aus? Aber warum haben wir ihn gefunden? Wieso sind wir ausgerechnet hier vorbeigekommen?»
    «Würde es dir bessergehen, wenn du noch an deinen allmächtigen Würgeengel glauben könntest?»
    «Beantworte meine Frage!»
    «Wir haben ihn hier gefunden, weil er in der Nähe wohnt, in einem Dorf oder in einer Siedlung, so einfach ist das. Er war unterwegs zur Herberge, wollte gerade die Landstraße nehmen, auf der auch wir gekommen sind, weil das der kürzeste Weg ist.»
    «Das ist ein Scherz.»
    «Ein Scherz?»
    Eva fängt an zu lachen. Sie bleibt vor den Scheinwerfern stehen und lacht, erst zurückhaltend, mit der Hand vorm Mund, eher ironisch, dann immer lauter, immer offener, bis das Gelächter geradezu aus ihr herausbricht, fast schon vulgär klingt.
    «Das war also euer gefürchteter Prophet», presst sie hervor, weil sie vor Lachen kaum sprechen kann. «Das war der Mann, der angeblich überirdische Kräfte hatte? Lächerlich! Ein Typ, der mit einer zwanzig Jahre alten Klapperkiste rumfährt, die vielleicht noch sechshundert Euro wert ist? Der weiße Socken trägt und nur Quatsch verzapft hat?»
    «Er ist tot! Ein bisschen mehr Respekt, bitte!»
    «Aber es stimmt doch!», kontert Eva, deren Lachen in Wut übergeht. «Das war ein harmloser Spinner! Und wegen diesem Kerl habt ihr euch selbst das Leben zur Hölle gemacht. Aus Angst vor diesem armen Schwein. Wegen ihm wolltest du gestern nicht mit mir schlafen. Dabei wäre es ein Akt der Liebe gewesen! Endlich ein Akt der Liebe! Aber jetzt ist es zu spät. Jetzt bist auch du dran.»
    «Es reicht! Das kann nicht sein! Wieso ist ihm keiner zu Hilfe geeilt? Der Stromausfall war doch viel später!»
    «Was weiß ich! Weil keiner ihn gesehen hat. Auch wir haben ihn nur entdeckt, weil sich die Sonne auf dem Auto gespiegelt hat. Fällt es dir so schwer, der Wahrheit ins Gesicht zu blicken? Dir einzugestehen, dass der schreckliche Prophet nur ein armes Schwein war?»
    «Eva, bitte!»
    «Wenn’s doch stimmt! Soll ich dir den Brief vorlesen, ja?»
    Eva glättet das Blatt, das sie zerknüllt hat. Sie schickt sich an, den Brief vorzulesen, aber die Sonne blendet sie. Also dreht sie sich um, damit ihr Schatten auf das Papier fällt.
    «‹Unvergessliche Freunde, wenn im Leben der Moment kommt, in dem die Dinge …› Meine Güte, ist das schlecht geschrieben!», spottet Eva und blickt kurz zu Ginés. «Das ist so schlecht geschrieben, dass man es kaum vorlesen kann. ‹In dem die Dinge sich für einen verändern, wenn man die Fehler erkennt, die man gemacht hat, auch wenn ich nicht an allem schuld bin, weil wahrscheinlich auch meine überfürsorglichen Eltern schuld sind, das religiöse Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin, das nicht zeitgemäß war, jedenfalls ist es so, dass ich als Jugendlicher MEINE GEFÜHLE NICHT AUSDRÜCKEN KONNTE …› Letzteres schreibt er in Großbuchstaben. ‹… wodurch ein harmloser, nicht böse gemeinter Scherz eine verheerende Wirkung haben konnte …› Olé! Wozu Kommas setzen? Bla bla bla, bla bla bla, in dem Stil geht es weiter, ah, das hier ist noch interessant: ‹ deshalb habe ich beschlossen, eine Party zu organisieren, damit ihr den neuen Andrés kennenlernt, den fröhlichen Andrés …› Olé! ‹damit ihr seht, dass ich mich noch an euch erinnere, an all das, was ich mit euch erlebt habe. Es gab zwar auch bittere Momente, aber trotzdem: Die schönsten Augenblicke meiner Jugend habe ich euch zu verdanken …› Wie erbärmlich! Aber das Beste kommt am Schluss: ‹Ich habe jemanden kennengelernt, der mich die Welt mit anderen Augen sehen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher