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Empty Mile

Empty Mile

Titel: Empty Mile
Autoren: Matthew Stokoe
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flüchtigen Berührungen, die er sich abends nach dem Essen erlaubte, wenn wir am Küchentisch saßen, monumentale emotionale Anstrengungen gewesen sein. Für mich jedoch waren sie jetzt, im Rückblick, kleine, traurige Fanale im Dunkel unserer Beziehung, ein blasser Abklatsch davon, was hätte sein können, wenn er sich nur mehr und früher bemüht hätte. Obwohl sie mir lieb und teuer waren, reichten sie nicht für ein ganzes Leben und kamen zu spät, um etwas an meiner Überzeugung zu ändern, dass er im Grunde genommen jemand war, zu dem ich nicht gehörte.
    Aber Marla liebte mich. Wir waren Gareth, meinen Vater und Jeremy Tripp los. Wir waren frei – selbst in Empty Mile, wenn wir wollten. Wir hatten die Chance, ein gemeinsames Leben aufzubauen. Marla hatte die Möglichkeit, ihre Träume von emotionaler Sicherheit wahr werden zu lassen. Ich glaubte ihr, wenn sie sagte, dass der Tod meines Vaters ein Unfall gewesen war. Ich hegte nicht den geringsten Zweifel daran. Aber ich glaube, selbst wenn sie ihn mit Vorsatz ermordet hätte, wäre meine Entscheidung dieselbe gewesen.
    Denn was waren wir im Grunde genommen schon? Zwei Mörder, die keine Mörder waren. Zwei Schuldige, die niemals schuldig werden wollten. In gewisser Weise hob jeder mit seinem Vergehen das Vergehen des anderen auf. Und vermutlich wären wir auch aus diesem Grund niemals in der Lage, einen anderen Partner zu finden.
    Daher musste uns diese eine Liebe genügen, und Vergebung war etwas, das für uns nicht galt. Wir waren, wozu wir geworden waren, zwei Menschen, an deren Leben man nicht mehr die üblichen Maßstäbe anlegen konnte, was die Welt für richtig oder falsch erachtete.
    Und überhaupt war sie am Leben und mein Vater nicht. Für ihn konnte ich nichts mehr tun, aber ich hatte wenigstens die Chance, das Unglück wiedergutzumachen, das ich über Marla gebracht hatte, als ich vor acht Jahren aus Oakridge fortging.
    Und so versicherte ich ihr an diesem traurigen, grauenhaften Abend, dass ich sie liebte, und wir gingen zu Bett und klammerten uns aneinander fest, während die Dunkelheit uns einhüllte. Ich verstand jetzt so vieles, das mich an ihr verwirrt hatte – wie Gareth sie so manipulieren konnte, dass sie sich in unserer Blockhütte vor ihm entblößte, dass sie sich zu Jeremy Tripps Hure machen ließ. Sie hatte gesagt, sie hätte es aus Angst getan, aus Angst, dass er ihrem Arbeitgeber von ihrer Vergangenheit als Hure erzählen würde, doch tatsächlich hatte er Macht über sie, weil er wusste, dass sie die Schuld am Tod meines Vaters trug.
    Ihre schrecklichen Depressionen und das Bedürfnis nach körperlicher Züchtigung ergaben plötzlich einen Sinn. Sie musste nicht nur mit der Schuld leben, dass sie den Vater des Mannes getötet hatte, den sie liebte, sondern auch mit der ständigen Angst, sie könnte deswegen bloßgestellt werden. Gareths Anwesenheit in Empty Mile hatte ihr das Leben zur Hölle gemacht, wusste sie doch, dass er jeden Moment beschließen könnte, mit der fatalen Wahrheit herauszurücken. Kein Wunder, dass sie sich so sehr gegen seine Besuche gewehrt oder Jeremy Tripp nicht hatte sagen wollen, dass Gareth das Video gemacht hatte, das Patricia Prentice in den Selbstmord getrieben hatte. Sie musste gedacht haben, er würde es ihr heimzahlen, indem er mir die Wahrheit über das Verschwinden meines Vaters erzählte.
    Dass er das nicht getan hatte, zeigte mir, wie sehr Gareth Marla noch geliebt haben musste. Es war eine kranke, grausame Liebe, doch er hatte das Geheimnis um meinen Vater bewahrt, obwohl er darauf gebrannt haben dürfte, ihre Beziehung zu mir zu zerstören. Dass er es kurz vor seinem Tod doch preisgegeben hatte, war nicht der endgültig letzte Dolchstoß, sondern, wie er gesagt hatte, ein Geschenk für Marla. Er wusste, ich musste die Möglichkeit haben, ihr zu vergeben, denn ohne diese Vergebung hätte sie ihre Schuldgefühle niemals überwinden können.
     
    Ich fand in dieser Nacht keinen Schlaf. Die Trauer um Stan lag auf mir wie tausend Tonnen Steine. Gegen zwei Uhr stand ich auf und ging hinaus.
    Stans und Rosies Schlafzimmer nahm den gesamten hinteren Teil des Wohnwagens ein. Als ich es betrat, fühlte ich mich im ersten Moment betrogen. Die braunen Resopalwände, die Ziehharmonikatür, die Fensterrahmen aus Aluminium … das alles war für mich nicht Stan. Hier war er nicht aufgewachsen, hier hatte er nicht mit mir gelebt. Dies war Stans neues Leben, ein Leben, das unabhängig von mir existiert
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