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Emmas Story

Emmas Story

Titel: Emmas Story
Autoren: Miriam Muentefering
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würde sie wahrscheinlich gar nicht beantworten.
    Ich schreibe die Worte probehalber trotzdem mal hin und betrachte sie eine Weile.
    Dann schüttele ich den Kopf.
    Mein Problem ist, dass ich nicht wirklich locker sein kann.
    Ich kann mir Gedichte von Rilke bis Günderode aus dem linken Ärmel schütteln, habe ein gutes Allgemeinwissen und sehr viel spezielles im Hinblick auf meinen Beruf. Ich kenne mich bestens in den üblichen Umgangsformen aus, tappe nie in Fettnäpfchen und drücke mich gewählt aus. Ich kann sogar in eine ganz normale Unterhaltung Nebensätze so einbauen und aussprechen, dass sie grammatikalisch korrekt sind.
    Aber locker sein, das kann ich irgendwie nicht.
    Im Gegensatz zu mir war Lu darin immer Spitze.
    Übrigens das Einzige, in dem sie mich jemals übertroffen hat. Das reichte jedoch aus, um sie bei meinen Eltern unglaublich beliebt zu machen.
    So beliebt, dass ich mich manchmal fragte, ob meine Mutter und mein Vater all die anderen Mängel an ihr einfach nicht bemerkten oder ob Lus verblüffende Lässigkeit so viel mehr wog als mein Stil.
    Was mich nur tröstete war, dass Lu zwar bei Mama und Papa gut ankam, aber in der Schule keinen festen Freundinnenkreis fand.
    Sie war einfach zu exotisch, ungewöhnlich und hatte noch bis zum Abitur immer wieder Schwierigkeiten mit unserem deutschen Werte- und Normensystem.
    Es schien so, als mache Lu sich ihre eigenen Gesetze. Die wahrscheinlich noch nicht einmal brasilianische Gesetze waren, sondern eher willkürlich festgelegte Regeln, die meistens darin bestanden, dass es keine Regeln gab. Damit eckte sie bei den meisten unserer Mitschülerinnen an. Nur diejenigen, die selbst am Rand der Gemeinschaft standen, ließen sich auf Lu ein. Und das trug nicht unbedingt dazu bei, dass sie in die Kreise, auf die es wirklich ankam, aufgenommen wurde.
    Doch das schien Lu nicht zu stören. Sie war stets vergnügt und gut gelaunt und hatte für meine leicht verwirrten Nachfragen zu diesem Thema nur ein Lachen übrig.
    Es machte ihr nichts aus, anders zu sein.
    Ich selbst war während unserer gemeinsamen Schulzeit genau so, wie ein Teenager in dieser Zeit sein will: beliebt! Ich hatte ausreichend Freundinnen, quasi eine für jedes Hobby, eine meist hysterisch kichernde Clique in der Klasse, und die Jungs … ach, die Jungs, auch wenn sie nicht wirklich zählten, aber sie rannten mir natürlich in Scharen hinterher.
    Trotzdem wunderte es mich als Kind maßlos, dass Lu es ohne große Umwege in die Herzen meiner Eltern geschafft hatte und dort so viel Anerkennung erhielt. Wahrscheinlich, so reimte ich es mir damals zusammen, rührte das von ihrer Vergangenheit, dem schrecklichen Los des Adoptivkindes.
    Das ärgerte mich. Wie mich so vieles ärgerte, was Lu mühelos mit einem ihrer offenen, arglosen Strahlelächeln erreichte, ohne sich an die gängigen Regeln zu halten.
    Dass Lu und ich trotz meiner Aversion oft Dinge gemeinsam unternahmen, lag einfach an der räumlichen Nähe. Wenn ich jemand zum Pauken der englischen Vokabeln brauchte, dann war sie nur eine Tür weit entfernt. Wenn sie spontan Lust hatte, in den nahe gelegenen Baugruben nach Froschlaich zu fischen, dann klingelte sie bei mir. Manchmal fragte ich sie, ob sie hierhin oder dorthin mitkommen wolle, weil sie mir kurz vorher einen Gefallen erwiesen hatte und ich verdammt noch mal auch mit vierzehn schon wusste, was sich gehört.
    Ich betrachte das kleine Galgenmännchen, dass ich soeben unter den misslungenen, steifen Kontaktanzeigen-Antwort-Text auf meinen Block gestrichelt habe.
    Im Grunde ist es auch jetzt super ärgerlich, dass ich diese zufällige Begegnung von gestern nicht einfach abstreifen kann. Stattdessen fällt mir bei der nächsten Gelegenheit, zu der Coolness gefragt wäre, nach all den Jahren sofort wieder Lu ein.
    Das war lange nicht so.
    Nach dem Abi waren wir beide in unterschiedliche Richtungen ausgeschwärmt, weg aus unserer winzigen Stadt. Ich hatte den Kontakt zu ihr einfach abgebrochen, hatte mich endlich frei gestrampelt aus unserem merkwürdigen nachbarschaftlichen Verhältnis, dass sie Freundschaft und ich Feindschaft nannte.
    Lus Briefe ließ ich unbeantwortet. Kein einziger Spruch auf meinem AB wurde mit einem Rückruf belohnt. Die ersten Jahre erhielt ich zu Anlässen wie Weihnachten oder Geburtstagen unverdrossen eine Karte von ihr, doch dann hörte auch das auf.
    Ich war das ständige Ärgernis meiner Teenagerzeit losgeworden.
    Endlich legte ich meine alte Gewohnheit ab, mich
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