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Emmas Story

Emmas Story

Titel: Emmas Story
Autoren: Miriam Muentefering
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alles mit Kennerinnenmiene an. Sie sieht mich an, während ich ihr erzähle, was mich als Vierzehnjährige nicht schlafen ließ. Ich kann erkennen, wie ihr Blick immer mal wieder von meinen Augen hinunterwandert zu meinem Mund oder hinüber zu meinem Haaransatz oder auch zu meinem Hals.
    Fraukes Blick streichelt mich, während ich ihr von Lu erzähle. Deswegen höre ich lange nicht auf damit.
    Ich erzähle ihr, wie Lu und ich uns kennen lernten und von dem Wettschaukeln als Zwölfjährige auf dem Spielplatz nebenan. Als Lu mich derart anfeuerte, dass ich leider eine winzige Kleinigkeit zu hoch schwang, die Schaukel sich überschlug und ich mit einem gebrochenen Schlüsselbein den Sieg davontrug.
    Ich erzähle von unserem Zeltlager in der sechsten Klasse, bei dem ich mit ein paar Freundinnen Lu allerlei grauenerregendes Getier in den Schlafsack steckte, das wir daheim in unseren Kellern und Schuppen gesammelt und in alten Marmeladengläsern mitgeschmuggelt hatten. Uns selbst waren bereits Ekelpickel gewachsen. Doch als Lu am Abend feststellte, wer sie in ihrem Schlafsack besuchte, war sie so liebevoll und fürsorglich mit den Spinnen, Tausendfüßlern und Kellerasseln, dass Frau Hillebrand, unsere Biolehrerin, sie für den »vorbildlichen Umgang mit den Mitgeschöpfen« mit einem Snickers auszeichnete.
    Ich erzähle, wie Lu sich als Sechzehnjährige auf einer Party ausnahmsweise auch einmal für einen Jungen interessierte und ich ihn ihr sofort ausspannte. Als er mir dann zu nah auf die Pelle rückte, eilte Lu mir leider etwas zu massiv zur Hilfe, sodass ihr ehemaliger Angebeteter ein schillernd blaues Auge und wir zwei einen gemeinsamen Termin beim Rektor davontrugen.
    Ich erzähle von unserer Abi-Englisch-Prüfung, für die ich wie eine Bekloppte gebüffelt hatte, während Lu sich wie immer durch die Tage treiben ließ. In der Prüfung selbst war mir vor Versagensangst so übel, dass ich mehrmals hinausmusste, um mich zu übergeben. Neben dem grässlichen Lampenfieber plagte mich bald die Panik, dass ich durch meine unfreiwilligen Aufenthalte auf den Schultoiletten mit den gestellten Aufgaben nicht schnell genug fertig werden würde. Als ich nach dem dritten Auswärtsspiel, bereits grün im Gesicht und besorgt von der Aufsicht beobachtet, zurückkehrte, lag unter meinem Aufgabenbogen ein Zettel mit allen Hinweisen, die ich für die beiden letzten Aufgaben brauchte. Später sprach der ganze Kurs nur von Lus Heldentat, den Bogen dorthin geschmuggelt zu haben. Das allgemeine Mitleid für mich wurde überlagert von der grenzenlosen Bewunderung, die unsere Mitschüler plötzlich der einstigen Außenseiterin Lu für ihren selbstlosen Einsatz entgegenbrachten. Meine anfängliche Erleichterung wich. Ich hätte liebend gern auf meine gute Note verzichtet und stattdessen meiner Retterin für ihren Großmut den Kopf abgerissen.
    »Langer Rede kurzer Sinn«, fasse ich schließlich zusammen. »Lu und ich waren immer … na ja, wie Feuer und Wasser. Wir waren so unterschiedlich wie es unterschiedlicher gar nicht geht. Und daher waren wir nicht unbedingt rasend gut befreundet. Jedenfalls aus meiner Sicht.«
    »Uuuuh!«, macht Frauke und nippt am zweiten Bananensaft. »Das hört sich ja nach einer scheußlich perfekten Dame an …«
    Ich wusste es! Ich wusste, dass sie mich verstehen würde!
    »Ja!«, stimme ich ihr zu. »Ja, dabei ist sie Meilen davon entfernt. Sie kann bis heute mir und mich nicht unterscheiden.«
    Frauke nickt. »Für eine Jugendliche ist das bestimmt der Horror: Die Art, wie sie dir immer eine Nasenlänge voraus gewesen ist, einfach durch ihre nette Art … brrr!« Sie schüttelt sich.
    Sie versteht mich.
    Sie ist nicht nur zufällig die attraktivste Frau auf Gottes Erdboden, sondern sie versteht mich auch noch.
    Antonie möge zur Hölle fahren!
    Und Frauke möge niemals erraten, dass ich diesen Gedanken hatte!
    »Andererseits«, fährt Frauke nachdenklich fort, wirft einen Blick auf die Küchenuhr und erhebt sich dann von ihrem Stuhl. »Andererseits scheint sie sich sehr über euer Wiedersehen gefreut zu haben.«
    Ich schaue verdutzt.
    »Ich meine ja nur«, setzt sie rasch hinzu. »Mir kommt es so vor. Vielleicht ist es sogar noch mehr als nur Freude. Sie scheint dir überhaupt gar nicht nachzutragen, dass du sie trotz aller gemeinsamen Erlebnisse nach der Schule so sang- und klanglos hast fallen lassen.«
    Ich weiß nicht, irgendwie gefällt mir die Richtung nicht, in die sich Fraukes Gedanken plötzlich
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