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Emily, allein

Emily, allein

Titel: Emily, allein
Autoren: Stewart O'Nan
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schwach und habe Kopfschmerzen, wenn sie nichts esse, und Arlene neige wie sie dazu, Mahlzeiten auszulassen und sich mit Kaffee oder Süßigkeiten zu begnügen. Das sei eine der großen Gefahren des Alleinlebens. «Im Sommer wirkte sie dünner», sagte Margaret. «Und wer weiß schon, wie viel Schaden ihre Raucherei angerichtet hat. Du weißt ja, dass sie immer die Filterlosen geraucht hat. Das waren die wahren Sargnägel, diese alten Pall Mails. Ein Wunder, dass sie so lange überlebt hat. Dein Vater hat dieselbe Marke geraucht. Er hat aufgehört, als ich mit dir schwanger war, weil mir der Gestank buchstäblich auf den Magen schlug, aber er hat bestimmt gut fünfzehn Jahre geraucht. Ich bin mir sicher, sein Tod hatte etwas damit zu tun.»
    «Aber sie ist doch noch frohen Mutes, oder?»
    «Du kennst sie ja, sie tut so, als wäre alles in Butter. Sie sieht nicht ein, warum sie im Krankenhaus liegen muss. Da kann sie nicht rauchen, das ist ihr großes Problem. Ich hätte jedenfalls schreckliche Angst. Sie würde sich bestimmt über einen Anruf freuen.»
    «Ich ruf sie an, wenn wir fertig sind. Und wie kommst du klar? Soll ich kommen und dir helfen?»
    Wochenlang hatte Margaret sie bezüglich ihrer Pläne für Thanksgiving hingehalten. Doch plötzlich war sie bereit, alles stehen- und liegenzulassen, und Emily war unerklärlicherweise eifersüchtig. Mehr aus Stolz als aus Bosheit schwor sie sich, das Thema nicht anzuschneiden.
    «Nett von dir, das anzubieten, aber ich finde, es ist nicht nötig. Wir hoffen, dass sie am Wochenende entlassen wird. Sie wird flüssig ernährt. Du solltest sie mal sehen, sie hängt an mehreren Monitoren. Das kostet bestimmt ein Vermögen.»
    «Gib Bescheid, wenn du mich brauchst.»
    «Mir geht’s gut, ich bin bloß ein bisschen aufgewühlt. Du hättest ihren Gesichtsausdruck sehen sollen. Einen Augenblick habe ich wirklich geglaubt, sie wäre tot. Ich kann von Glück sagen, dass ich nicht selbst einen Herzinfarkt bekommen habe. Das Eat ‘n Park hat einen schönen Blumenstrauß geschickt.»
    «Wie nett von ihnen.»
    «Wir sind ja auch sehr treue Gäste.»
    Sie hatte es nicht als Aufforderung gemeint, dennoch fragte Margaret pflichtschuldig nach Arlenes Zimmernummer.
    «So», sagte Emily, «sonst ist hier nichts Aufregendes passiert. Und was ist in euren Breiten so los?»
    «Nicht besonders viel.»
    Das war Margarets übliche Antwort, wenn sie nicht reden wollte. Sehr oft tat sie so, als kämen ihr Emilys Anrufe ungelegen, als hielte Emily sie von einer dringenden Angelegenheit ab. Als Jugendliche war sie abweisend und verschlossen gewesen, und als Alkoholikerin hatte sie ihre Krankheit jahrelang vor allen verheimlicht. Emily hatte erwartet, dass sich Margaret nach der Entziehungskur ändern würde, dass sie beide ihre Fehler eingestehen und sich näherkommen könnten, doch Margaret ließ sie immer noch nicht an sich heran und war misstrauisch, als sei das Interesse ihrer eigenen Mutter an ihrem Leben verdächtig. «Wie geht’s Sarah?»
    «Gut, nehme ich an. Ich hab schon eine Weile nicht mehr mit ihr gesprochen.»
    «Was heißt eine Weile?»
    «Sie sollte sich eigentlich am Sonntag melden. Aber Verlässlichkeit ist nicht gerade ihre Stärke. Okay, ich weiß, was du sagen willst.»
    «Ich wollte nichts sagen.»
    «Jedenfalls geht es ihr gut», sagte Margaret. «Sie und ihre Zimmergenossin arbeiten als ehrenamtliche Helfer für Obama, deshalb sind sie nie da.»
    «Braucht er in Chicago wirklich Hilfe?»
    «Das ist sein Hauptquartier, darum ist es eine landesweite Angelegenheit. Sie ist ganz aufgeregt.»
    «Sie soll aufpassen, dass sie sich nicht übernimmt. Und wie geht’s Justin?»
    «Gut. Er hat diese Woche Mittsemesterprüfungen, da hat er viel zu tun.»
    «Und wie sieht’s bei dir aus?»
    «Ich bleibe am Ball. Danke für den Scheck übrigens.»
    «Nichts zu danken», erwiderte Emily unwillkürlich. Sie wollte sich nach Margarets Aussichten auf einen Job erkundigen, hatte die Frage in Gedanken schon formuliert und war im Begriff, sie auszusprechen - «Tut sich was an der Jobfront?»-, doch im letzten Moment kam sie zu dem Schluss, dass es nicht der richtige Zeitpunkt sei. Stattdessen fragte sie: «Hast du schon entschieden, was du an Thanksgiving machst?»
    Das hatte sie wirklich nicht gewollt, doch jetzt ließ es sich nicht mehr rückgängig machen. Sie hatte nicht vor, ein Zugeständnis von Margaret zu erzwingen, doch das Schweigen, das auf ihre Worte folgte, gab Emily zu verstehen,
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