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Emily, allein

Emily, allein

Titel: Emily, allein
Autoren: Stewart O'Nan
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stürmischen Nächte, in denen sie nicht schlafen konnte, neben dem Bett liegen hatte, aber nein, Arlenes Name war auf den Einband geprägt. Arlene hatte Margaret und Kenneth ähnliche Bibeln zur Konfirmation geschenkt, später auch den Enkelkindern, womit sie den Brauch aufs neue Jahrhundert übertragen hatte, aber als Geschenke hatten sie nie den angemessenen Dank geerntet. Emily überlegte, ob sie die Bibel auch mitnehmen sollte, doch vielleicht fände Arlene das anmaßend, und hier war sie ohnehin besser aufgehoben. Emily hatte alle möglichen Horrorgeschichten über Sachen gehört, die in Krankenhäusern verschwanden.
    Sie durchsuchte Arlenes Kommodenschubladen nach einem BH, Unterwäsche und einem Paar Socken. Ihr Morgenrock und ihre Hausschuhe waren im Wandschrank, zusammen mit Dutzenden von Hutschachteln aus vergangenen Jahrzehnten, und obschon Emily versucht war herumzuschnüffeln, wusste sie, wie aufgebracht sie selbst wäre, wenn Arlene in ihren Sachen kramen würde, und schloss die Tür. Im Bad sammelte sie die Toilettenartikel ein und packte sie in einen Dopp-Kulturbeutel mit Monogramm.
    Die Fischfütterung war einfach. Sie hob den Deckel an, streute drei Prisen übelriechender Flocken hinein und beobachtete, wie sie sich auf dem Wasser ausbreiteten.
    «Na los, fresst», sagte sie, weil die Fische anfangs kein Interesse zeigten. Erst als sie den Deckel wieder geschlossen hatte und einen Schritt zurückgetreten war, tauchten sie auf und küssten die Wasseroberfläche. Als die Flocken Feuchtigkeit aufnahmen und hinabsanken, schossen die Fische heran, um sie abzufangen und einzusaugen.
    Arlene gab ihren Fischen Namen und sprach von ihnen, als hätten sie ausgeprägte Persönlichkeiten, doch Emily konnte sie nicht auseinanderhalten. Die Katzenfische waren Katzenfische und die Skalare Skalare; die übrigen waren das, was sie waren. Sie hatte immer gedacht, Arlene würde ein richtiges Haustier, wie zum Beispiel eine Katze, gefallen, aber jedes Mal, wenn sie das Thema ansprach, sagte Arlene, sie könne die Haare und Schuppen nicht ausstehen, ganz zu schweigen vom Katzenklo. Emily empfand Arlenes striktes, sauberkeitsfanatisches Bedürfnis nach totaler Kontrolle als einschränkend. So entging ihr jeglicher Spaß. Haustiere mussten hingebungsvoll und chaotisch sein, wie Rufus, jemand, den man lieben konnte und der einen trotz aller Unzulänglichkeiten ebenfalls liebte. Über die Fische konnte Emily bestenfalls sagen, dass sie dekorativ waren, nett anzusehen, aber nicht gerade die herzerwärmendsten Gefährten.
    Als sie alles erledigt hatte, bestellte sie ein Taxi. «In fünf Minuten», hieß es in der Zentrale. Sie schaltete überall das Licht aus und hinterließ die Wohnung genau so, wie sie sie vorgefunden hatte.
    Statt sich in die Kälte zu stellen, wartete sie im Hausflur. Nach einer Viertelstunde stieg sie wieder die Treppe hinauf und rief an, um zu fragen, warum es so lange dauerte.
    «Der Fahrer ist unterwegs», versprach man ihr.
    «Inzwischen könnte ich längst da sein», sagte Emily, und das stimmte.
    Außerdem wollte sie Arlene einen Strauß Blumen besorgen, und der Laden im Krankenhaus war wesentlich teurer als das Giant Eagle. Sie überlegte - wenn auch nicht ernsthaft -, ob sie das Taxi abbestellen und selbst fahren sollte, doch dann musste sie eventuell im Dunkeln zurückkehren, und das wollte sie nicht riskieren.
    Mit Arlene würde alles in Ordnung kommen. Inzwischen schien es ihr wieder gutzugehen, doch Emily sah ständig Arlenes Mund vor sich, sah, wie er sich, kurz bevor sie umgekippt war, bewegt und Wörter zu bilden versucht hatte - «waaah luuhh wuuh». Emily konnte sich an keinerlei Warnsignale erinnern, anders als bei Henry mit seinen Hustenanfällen. Sie hatte befürchtet, es könnte ein Schlaganfall sein, dass Arlene letztlich aus dem Mundwinkel sprechen würde wie Louise oder an den Rollstuhl gefesselt wäre wie Cat Osborn, doch im Krankenhaus war sie wieder ganz die Alte gewesen und hatte - nur teilweise entschuldigend - gewitzelt, sie habe Emily wohl einen ziemlichen Schrecken eingejagt.
    Der Taurus stand am Bordstein. Die Schlüssel steckten in ihrer Tasche. Sie könnte zu Hause vorbeifahren, Rufus rauslassen und seinen Wassernapf auffüllen.
    «Das ist albern», sagte sie zu den nassen Platanen.
    Sie war immer noch hin und her gerissen, als das Taxi am Ende der Straße auftauchte und ihr die Entscheidung abnahm.
    Auf der Fahrt stellte sie fest, dass der Taxifahrer nicht besser fuhr
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