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Emily, allein

Emily, allein

Titel: Emily, allein
Autoren: Stewart O'Nan
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Löffelbagger, für die Arbeiter, die schließlich in die Gräben stiegen und sie ausschaufelten. Die Lastwagen wirbelten Staub auf, der sich auf ihre Hecken legte und das Verandageländer und den Briefkasten wie mit weißem Pollen bestäubte. Als sie in den Garten ging, um zu gießen, zog sie sich gleich wieder ins Haus zurück, weil sie Angst um ihre Lunge bekam.
    Es war sowieso zu heiß. In der Schwüle des Hochsommers war die Luft oben so stickig wie auf ihrem alten Dachboden, und sie leerte zweimal täglich den Luftentfeuchter. Nachts öffnete sie die Fenster und schaltete ihren Tischventilator ein, doch der machte bloß Lärm, und sie lag vor Hitze vergehend zwischen den Laken und sehnte sich nach Schlaf. Das waren die Augenblicke, in denen sie Chautauqua und die kühlen Abende dort am stärksten vermisste. Als die Kinder noch klein waren, hatte sie den gesamten Monat im Sommerhaus verbracht, und Henry war freitags nach der Arbeit herübergekommen und sonntagabends wieder gefahren. Die Woche über war es ruhig gewesen, und sie hatte auf dem Steg gesessen und gelesen, während die Kinder herumtollten. Sie hatten auf der von Fliegengitter umschlossenen Veranda gelegen, im Schatten der großen Eiche Krocket gespielt. Wenn die Hitze spätnachmittags zunahm, hatten sich im Norden Wolken zusammengeballt, bis sie so riesig waren, dass ein Gewitter losbrach, und dann war ein Unwetter über den See gefegt und hatte Erleichterung gebracht. Nach dem Abendessen hatten die Kinder Sweatshirts tragen müssen. Vor dem Zubettgehen hatten sie manchmal den Kamin angezündet, und auch wenn das neue Haus - ein enges, reizloses Miethäuschen direkt oberhalb des Instituts, ein ganzes Stück vom Wasser entfernt - kein Vergleich war, brach die Dunkelheit immer noch genauso herein wie damals, als sie mit Henry in den ersten Nachkriegssommer hinausgepaddelt war. In zwei Wochen würde sie wieder dort, würde sie wieder glücklich sein. Bis dahin musste sie bloß aus allem das Beste machen.
    Dem Gesetz zufolge durften sie nicht vor acht Uhr anfangen. Emily war von Natur aus schon um fünf wach und nutzte diese unbeschwerten Stunden, um mit Rufus rauszugehen und ihren Garten zu gießen. In den ersten paar Tagen verkroch sie sich im Haus, als könnte sie das Ganze aussitzen, regte sich aber fortwährend über ihr Eingesperrtsein auf. Sie kam sich vor, als hätte sie Hausarrest, obwohl ihr klar war, dass er größtenteils selbst auferlegt war. Sie konnte jederzeit gehen, doch wo sollte sie schon hin?
    Nach Kersey, um das Grab ihrer Eltern ein letztes Mal zu besuchen. Mit dem neuen Wagen gab es keine Entschuldigung mehr, es nicht zu tun.
    Diese Lösung schmerzte, und sie verwarf sie sofort, machte aber ein Zugeständnis. Sie würde Henrys Grab besuchen - und auch das von Louise. Was sie mit dem Rest des Tages anfangen sollte, war ihr völlig schleierhaft. Sie würde sich nicht wie eine Obdachlose in die Bücherei setzen, obwohl es dort eine Klimaanlage gab.
    Henrys Grab war knapp zehn Minuten entfernt, das von Louise bloß noch mal fünf. Emilys Besuch war längst überfällig, dennoch schob sie ihn Tag für Tag auf, als könnte sie sich auf diese Weise irgendwie davor drücken. Sie würde nach ihrer Rückkehr aus Chautauqua hinfahren. Das machte den beiden bestimmt nichts aus. So logisch das auch klingen mochte, Emily wusste, dass es eine Lüge war. Abends standen die Planierraupen und Löffelbagger unbenutzt am Bordstein und zogen Neugierige an, und jedes Mal, wenn sie sah, wie die Nachbarskinder und ihre Väter die reglosen Maschinen umkreisten, machte sie sich Vorwürfe, weil sie einen weiteren Tag vergeudet hatte, doch wenn sie am nächsten Morgen neuerlich dem Lärm ausgesetzt war, sträubte sie sich wieder gegen den Friedhofsbesuch und überwand sich letztlich nur, indem sie Henrys Namen auf dem Kalender eintrug, als ob sie eine Verabredung hätten.
     
    Nicht umzubringen
     
    Emily brauchte etwas, das die Hitze vertrug. Die Grabstelle der Maxwells lag auf der Südseite eines kleinen Hügels mit Blick über einen großen, von Seerosenblättern bedeckten Zierteich, und auch wenn man eine schöne, friedliche Aussicht hatte, war der Hang bis auf ein paar blühende Birnbäume kahl. Schon ganz am Anfang, als sie noch getreulich vorbeigekommen war, hatte die Sonne, egal, wie oft Emily auch goss, die von ihr gepflanzten Geranien verbrannt, und die welken Blüten hatten sie jeden Sonntag an ihre gemeinsame Hilflosigkeit gegenüber den Elementen
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