Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Emily, allein

Emily, allein

Titel: Emily, allein
Autoren: Stewart O'Nan
Vom Netzwerk:
Und an Seidenstrümpfe? Den hab ich bestimmt ein Dutzend mal gesehen. Darin war sie so elegant und geheimnisvoll. Damals wollte ich genau wie sie sein.»
    Nachdem Arlene ihr den Wind aus den Segeln genommen hatte, hätte sie ihr am liebsten gesagt, sie habe noch nie die geringste Ähnlichkeit mit Cyd Charisse gehabt, und dennoch erinnerte sie sich, wie sie im Penn Royal gesessen, Cyd Charisse und Fred Astaire zugeschaut und sich gewünscht hatte, sie würde eines Tages auch so verliebt und so schön sein, und obwohl ihr das Geheimnisvolle daran inzwischen so altmodisch und schmalzig vorkam wie die Schlager, zu denen die beiden tanzten, tat das dem romantischen Gefühl, im Dunkeln zu sitzen und sich auf die Leinwand zu sehnen, um ein anderes, viel prächtigeres Leben zu führen, keinen Abbruch. Sie hatte nie Cyd Charisse sein wollen, sie wollte immer bloß glauben, dass ihre Gefühle echt waren und sich dann einstellen würden, wenn sie den Mann fand, den sie liebte, denn außerhalb des Penn Royal hatte sie so etwas nie empfunden.
    «Ich wollte immer Gene Tierney sein», sagte Emily.
    «Die war wunderschön. Wie hieß der Film mit Wie-heißt-er-noch-gleich? Dana Andrews. In dem er einen Detektiv spielt.»
    «Du meinst Laura.»
    «Ja! Erinnerst du dich noch an den Titelsong? Duu du-du duuu.»
    «Ja», sagte Emily, «danke.»
    «Tut mir leid. Ich hab mir diese Hommage angehört und ganz feuchte Augen bekommen. Was wolltest du mir sagen?»
    «Ich habe angerufen», sagte Emily einleitend, «um dir zu sagen, dass das Haus der Millers verkauft ist.»
    «Gut», sagte Arlene. «Wird auch Zeit, oder?»
    «Wahrscheinlich.»
    «Ich frage mich, wie viel sie dafür bekommen haben.»
    «Das kommt bestimmt in die Zeitung.»
    «Für wie viel wurde es denn angeboten?»
    Sie spekulierte weiter, doch Emily hatte das Interesse verloren und fragte sich, als sie aufgelegt hatte, wie sie sich bloß immer wieder in Arlenes Schwafeleien verwickeln lassen konnte. Auch ohne Cyd Charisse hatte sie genug zu betrauern. Sie war genauso verliebt gewesen wie alle anderen, und obschon Henry nicht gerade schneidig gewesen war, so war er doch ehrlich, freundlich und klug gewesen, und außerdem, was brachte es jetzt, das eigene Leben mit dem Kino zu vergleichen. Allein die Vorstellung war albern. Das Telefon in der Hand, umrundete sie den Couchtisch und blieb schließlich am Fenster stehen, von wo sie das Schild sehen konnte. Sie probierte aufs Geratewohl, Kenneth anzurufen, hinterließ aber keine Nachricht.
     
    Ausbesserungsarbeiten
     
    Rückblickend war es wohl dumm gewesen zu glauben, sie würden warten, bis Emily sich davongemacht hatte, aber warum mussten sie sich gerade für die heißesten Julitage entscheiden? Ihre Abreise stand kurz bevor, und sie war erschöpft von dem drückenden Wetter. Da brauchte sie nicht auch noch dieses ganze Chaos.
    Die Millers hatten Glück gehabt, das Haus vorher zu verkaufen. Der Brief, der sie informierte, traf am Freitag ein, und schon am Dienstag ging es zu wie in einem Kriegsgebiet, draußen standen Kipper mit laufendem Motor, die die Fenster erzittern ließen. Rufus bellte, als würde jemand sie überfallen. Um eine uralte Abwasserleitung aus Terrakotta auszutauschen, riss die Wassergesellschaft die Straße und den Gehsteig bis zur Highland Avenue auf, einschließlich des äußersten Zipfels ihrer Einfahrt. Sie fühlte sich umzingelt, das Haus eine Insel. Man schlug den betroffenen Anwohnern vor, an der Sheridan Avenue oder der Farragut Street zu parken, doch das hieß, dass Emily den Subaru nicht nur auf Gedeih und Verderb den Elementen ausliefern musste, sondern ihn auch nicht sehen konnte. Die andere Möglichkeit bestand darin, ihn in der Garage einzuschließen und sich auf Arlene zu verlassen, doch diese Aussicht kam ihr wie eine Falle vor. Man konnte ihr keinen genauen Zeitplan nennen - möglicherweise würden sie den ganzen Sommer da sein -, darum suchte sie sich einen Platz an der Sheridan Avenue, nicht zu nah am Stoppschild und so weit entfernt von den großen Platanen, dass ihr Laub nicht direkt aufs Auto fiel, und da sie plötzlich an den Olds denken musste, brauchte sie mehrere Minuten, um den Wagen am Bordstein zu parken, und zerschrammte dabei eine Felge.
    Vor dem Lärm gab es kein Entrinnen, obwohl das Haus gegen die Hitze versiegelt war. Sie mussten die Straße aufreißen, und den ganzen Tag lang kreischten die Sägen, fraßen sich durch den Asphalt und schnitten Rillen für Presslufthämmer und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher