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Emily, allein

Emily, allein

Titel: Emily, allein
Autoren: Stewart O'Nan
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Untersuchungen durchführen, aber nach allem, was Sie erzählt haben, vermute ich, dass seine Schilddrüse nicht richtig arbeitet. Das kommt bei dieser Rasse ziemlich oft vor, und wie gesagt, in seinem Alter wäre es kein Wunder. Die gute Nachricht ist, wenn ich recht habe, verschreiben wir ihm etwas, setzen ihn auf Diät, und dann geht’s ihm in einem Monat oder so wieder besser.»
    Seine Schilddrüse. Wie bei Tante June mit ihren Jodpillen. Emily war so sicher, er würde bald sterben, dass sie anfangs, obwohl sie für diese Möglichkeit dankbar war, nicht an die Diagnose glaubte. Erst auf der Rückfahrt begriff sie allmählich und bekam ein schlechtes Gewissen, weil ihr nichts aufgefallen war. Den Kindern gegenüber stellte sie es so dar, als sei er gerade noch mit dem Leben davongekommen.
    Das ganze Wochenende betete sie, der Arzt möge recht haben, und war dankbar, als die Untersuchungen es bestätigten. Ein normaler Schilddrüsenwert lag ungefähr bei 30. Seiner war 2. Sie las Betty, Arlene und Marcia die Ergebnisse vor, als sei es ein Wunder, dass er noch lebte. War es auch. Diesen Strafaufschub hatte sie sicher nicht verdient.
    Von nun an überwachte sie seine Fortschritte wie eine Krankenschwester, umhüllte seine Pillen mit fettfreiem Frischkäse und kaufte das teure Diätfutter in Dosen. Statt Milkbones und Liv-R-Snaps gab sie ihm Stangensellerie, den er wegmampfte, als sei es Hundekuchen. Egal, wie das Wetter war, sie ging morgens und abends mit ihm die Grafton Street entlang und ermunterte ihn bei jedem Schritt. Die Nachbarn hielten sie bestimmt für senil, eine verrückte alte Frau, die im strömenden Regen draußen mit ihrem Hund redete.
    Sie lobte ihn, wenn er fraß, wenn er seinen Haufen machte, wenn er ruhig da lag. «Ja», sagte sie, «du bist ein braver Junge», und kraulte ihn hinter den Ohren, zauste sein Fell, rieb seinen Bauch. Sie wischte ihm die wässrigen Augen aus und befahl ihm, still zu sitzen, während sie seine Ohren mit einem Q-Tip reinigte. Sie bückte sich, drückte die Nase auf seinen Kopf und atmete seinen Geruch ein. Sie wusste, dass sie ihn verhätschelte, doch das war ihr egal.
    Betty fand, dass er besser aussah, und auch wenn ihm die Treppe noch Probleme bereitete, kam er nach und nach wieder zu Atem. Als ihn Emily eines Morgens von draußen hereinließ, tollte er durch die Küche, wirbelte mit dem buschigen Schwanz wedelnd herum und schnaubte.
    «Sieh mal an», sagte sie. «Da geht’s wohl jemandem besser. »
    Sie nannte ihn Mr. Lebhaft, Mr. Aufgeregt, und schließlich, als er seine normale Größe wieder erreicht hatte, Mr. Schweinepastete und Chubbers McBubbers, aber in liebevollem Ton. Wenn sie mit neuem Dosenfutter nach Hause kam und sah, dass er ins Wohnzimmer gekackt hatte, machte sie einfach sauber, und wenn er wegen des Briefträgers, der Klingel oder völlig grundlos bellte, fand sie das eher lustig, als sich darüber zu ärgern.
    «Rufus Jamison Maxwell», sagte sie dann, «was soll ich bloß mit dir anstellen?»
     
    Cyd Charisse
     
    Beim Haus der Millers lag Emily falsch. Am Dienstag nach Vatertag sah sie aus dem Wohnzimmerfenster, wie die Maklerin in ihrem Mercedes vorgefahren kam, das Howard-Hanna-Schild mit einem kleineren Schild krönte, das vom bevorstehenden Verkauf des Hauses kündete, es mit der Pingeligkeit einer Innenarchitektin genau in die Mitte platzierte und dann einen Schritt zurücktrat, um ihr Werk zu bewundern.
    Hinweise hatte es reichlich gegeben, deshalb war es kein Schock, und dennoch, so bedrückend es auch gewesen war, alles leer stehen zu sehen, das hier war noch schlimmer, denn es kam blitzartig und war zugleich endgültig, als würde ihr das Haus, genau wie Henry und danach Louise, genommen.
    Wie bei jeder erschütternden Nachricht, war ihr erster Impuls, es den Menschen zu erzählen, die ihr besonders nahestanden, doch Kenneth und Margaret waren beide auf der Arbeit. Sie zögerte, Arlene anzurufen, da sie von ihr kein so tiefgehendes Mitgefühl erwartete, aber als sie bei den Coles klopfte, öffnete niemand, und sie musste doch jemandem von ihrer Entdeckung erzählen, solange sie noch frisch war.
    «Das ist echt komisch», sagte Arlene. «Ich wollte dich auch gerade anrufen. Ich hab nämlich eben im Radio gehört, dass Cyd Charisse tot ist.»
    «Cyd Charisse.»
    «Die Tänzerin.»
    «Ich weiß, wer das ist.»
    «Kannst du dich noch an Du sollst mein Glücksstern sein erinnern, mit Gene Kelly? Da haben sie so toll miteinander getanzt.
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