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Elidar (German Edition)

Elidar (German Edition)

Titel: Elidar (German Edition)
Autoren: Susanne Gerdom
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ihr nun beibringen würde.
    Der klagende Monolog des alten Mannes verstummte. Er saugte friedlich an seiner Wasserpfeife und lächelte sie an. Tajo ertappte sich dabei, wie sie sein Lächeln erwiderte.
    »Also, mein Junge, wollen wir beginnen?« Karem wandte sich mit einem Ächzen zur Seite und zog eine abgeschabte Ledertasche unter einem wackligen Turm aus kleinen Holzkisten hervor, der daraufhin mit lautem Krach zusammenbrach. Der alte Mann öffnete mit einer feierlichen Handbewegung die Tasche und bedeutete Tajo, neben ihn zu rücken. Sie blickte hinein und musterte eine Anzahl ordentlich aufgereihter Instrumente aus Holz und Metall.
    »Was ist das?«, fragte sie ratlos.
    Karem kicherte und schloss die Tasche wieder. »Noch ein wenig zu früh für dich. Aber du wirst bald lernen, damit umzugehen, o ja!«
    Er lehnte sich zurück und zog Tajo neben sich auf das große Kissen. »Sag mir, Junge, hast du je von dem großen Abdal Zan gehört?« Sein starrer Blick spießte sie auf.
    »Nein, Meister Karem, es tut mir leid«, gab sie zu.
    Er spuckte aus. »Ah, die Jugend! Kein Sinn für das, was war. Kein Wissen über unsere Geschichte, unsere Ahnen. Wo soll das alles enden?«
    Er zog Tajo am Ärmel näher und stierte ihr ins Gesicht. Sein Atem blies ihr über die Wange. »Du bist gar kein Yasemit, oder?«
    »Ich weiß es nicht. Jedenfalls sehe ich nicht wie einer aus.«
    Der alte Mann hielt sie immer noch fest und erforschte ihr Gesicht. Tajo erkannte entsetzt, dass Karem beinahe blind sein musste.
    »Der große Abdal Zan«, begann Karem leise und setzte sich zurück. Tajo entspannte sich ebenfalls. »Er war der Urahn unserer Zunft, der Größte von allen und der erste, der den Titel ›Meister der Diebe‹ tragen durfte, ihm feierlich verliehen von Scha’Yas Sekrim dem Dritten. Abdal Zan war der erste königliche Dieb, und seither blieb diese Tradition ungebrochen, in all den Equils und Zequils der Herrschaft der Scha’Yassim über unser Volk. Immer gab es einen ›Dieb des Scha‚Yas‹ – bis zum heutigen Tag, wo die Scha’Yassim gestürzt sind und unser Volk fremden Herren gehorchen muss.« Sein Gesicht wurde traurig. »Ich bin der letzte königliche Dieb. Mit mir stirbt die Tradition. Was treibt mich, einen Jungen wie dich auszubilden, wo doch unsere Herren fort sind, und der königliche Palast allein von den Drachen bewohnt wird?«
    Tajo entließ den angehaltenen Atem. »Du hast seitdem für den alten Drachen gearbeitet?«
    Karem fuhr sich beschämt durch sein schütteres weißes Haar. »Weh mir, das tat ich. Einst diente ich dem Herrn über alle Yasemiten, und jetzt beuge ich mein Haupt vor denen, die einst die niedrigsten der Sklaven waren.«
    Er blinzelte listig. »Du bist ein Dieb, sonst hätten sie dich nicht zu mir geschickt. Sag mir: hast du bisher den Leuten die Taschen ausgeräumt und ihre Beutel geschnitten?«
    »Ich bin auch schon in ein Haus eingestiegen«, gab sie ein wenig beleidigt zurück.
    Der Alte nickte nicht sonderlich beeindruckt. »Waren Leute darin?«
    »Nein«, gab Tajo zu. »Es stand leer. Aber ich habe es bei Tage getan, wo jeder Nachbar mich hätte erwischen können.«
    Karem kicherte. »Das ist keine Kunst. Bei Tag sind die Leute beschäftigt, sie machen Lärm und achten nicht auf Geräusche in der Nachbarschaft. Bei Nacht einzusteigen, wenn du nicht weißt, wie fest der Schlaf der Bewohner ist, und ängstliche Ohren auf jedes unbekannte Rascheln lauschen - das ist die wahre Herausforderung.«
    Er wurde ernst. »Du wirst früh genug lernen, wann es günstig ist, ein Haus zu betreten, und wann du es besser lässt. Heute beginnen wir mit etwas anderem.« Er stand auf und kramte eine Weile in all dem Gerümpel herum, das sich neben dem verhängten Fenster stapelte. Endlich zog er einen klobigen Gegenstand hervor und gab ihn Tajo. Sie wendete das Ding in der Hand und hob fragend die Augen.
    »Sieh es an«, forderte der Alte sie auf. »Was ist das?«
    »Ein Schloss«, murmelte Tajo. »Ohne Schlüssel.«
    »Richtig.« Karem nahm einen dünnen, gebogenen Draht auf und hielt ihn hoch. »Das hier ist ab jetzt dein Schlüssel.«

    Der alte Mann zeigte sich als geduldiger Lehrer, und seine gichtigen Finger bewiesen erstaunliche Geschicklichkeit im Umgang mit den dünnen Drähten und flachen Metallstreifen, deren Anwendung Tajo erlernen sollte. Sie fand sich selbst tölpelhaft und ungelenk, wenn sie zusah, mit welch präzisen Bewegungen der Alte die Schlösser öffnete, die er aus seiner schier
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