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Elidar (German Edition)

Elidar (German Edition)

Titel: Elidar (German Edition)
Autoren: Susanne Gerdom
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beinahe überstrahlt von der vollen Rundung des Mondes.
    »Ein Scherge des Kurators«, sagte er zu sich selbst. »Ich dachte, er hätte inzwischen sein Interesse an uns verloren. Ich muss Sao-Tan warnen.«
    Er stand noch eine Weile in seine Betrachtung versunken da, dann kehrte er an seinen Platz am Feuer zurück. Er schlug die samtene Hülle des Büchleins zurück und hielt die Seiten erneut in das silberne Licht des Mondes. Seine Lippen bewegten sich stumm, während er die Schriftzeichen entzifferte. Das Mondlicht strahlte von den Seiten zurück und ergoss sich über seine Hände, bis sie leuchteten wie herabgefallene Sterne. Und während er las, begannen seine Augen in einem unirdischen Glanz zu glühen - nicht weiß oder silbern wie das Mondlicht, sondern in dem dunklen, beinahe schwarzen Rot eines langsam erlöschenden Feuers. Tiefe Atemzüge hoben seine Brust, und Funken spielten um seine Nasenlöcher. Über ihm im Dunkel des Zimmers erhob sich schattenhaft der Kopf eines Drachen auf einem langen, stachelbewehrten Hals, und riesige Schwingen schienen sich zu entfalten, bereit, die Schattengestalt aus Mensch und Drache emporzutragen in den Nachthimmel.

4
    D ie Wohnung, die Skra Dag ihr genannt hatte, lag über dem Geschäft eines Baders, der gerade damit beschäftigt war, einen widerspenstigen Kunden unter Aufbietung aller Kräfte von seinem schmerzenden Backenzahn zu erlösen. Ein Dkhev-Leibeigener, der dem Bader zur Hand ging, stemmte dem brüllenden Patienten sein Knie auf die Brust und umklammerte seine Arme, während der schwitzende Zahnreißer über dem geplagten Mann hockte und mit einer riesigen Zange in seinem Mund herumfuhrwerkte.
    Das obere Geschoss war nicht viel sauberer als die Zahnreißer-Bude, dafür roch es weniger durchdringend nach altem Schweiß und billigem Parfüm.
    Tajo klopfte zaghaft an eine Tür, die den Treppenabsatz beschloss. Schlurfende Schritte näherten sich, und eine Stimme fragte mürrisch nach ihrem Begehr.
    »Der Alte Drache schickt mich«, rief Tajo. Ein Riegel knirschte, die Tür sprang auf, und eine knorrige Hand krallte sich um Tajos Arm. Sie wurde in einen engen Flur gezerrt, und die Tür schlug hinter ihr zu.
    Tajo schnaufte überrascht. Der dürre alte Mann, der sorgsam die Tür verriegelte, drehte sich zu ihr um und musterte sie mit zusammengekniffenen Augen.
    »Du bist der neue Lehrling?«, fragte er. Tajo wich ein wenig zurück, denn sein faltiges Gesicht kam ihr so nahe, als wollte er sie in die Nase beißen. Er roch wie seine muffige Wohnung: alt, verstaubt und ein wenig säuerlich.
    »Seid Ihr Meister Karem?«, fragte sie zurück.
    Er keckerte und winkte ihr, ihm zu folgen. Das Zimmer, das an den Flur grenzte, war winzig klein und voller Kram. Das Fenster war zugehängt, so dass kein Lichtstrahl und kein Lüftchen von draußen hereindringen konnte. Kerzen und ein winziges Feuer in der Feuerstelle sorgten für ein wenig Beleuchtung. Es war stickig und warm.
    Der alte Mann hockte sich auf ein dickes Kissen und schob sich das Mundstück einer Wasserpfeife zwischen die Zähne.
    »Wie heißt du, Junge?«, nuschelte er.
    Tajo sah sich unbehaglich um und ließ sich dann mit untergeschlagenen Beinen auf einem Stapel mottenzerfressener Schaffelle nieder. »Tajo.«
    »Tajo«, wiederholte der Alte und kaute auf dem zerbissenen Mundstück herum. Das Wasser in der Pfeife gurgelte leise. Seine trüben Augen starrten sie unverwandt an. »Wie alt bist du, Junge?« Er hob die Hand abwehrend. »Warte, lass mich schätzen. Elf Equils, meinetwegen zwölf, habe ich recht? Ich habe so viele Jungen ausgebildet, so viele … Ich verschätze mich nie!«
    Tajo verkniff sich ein Lächeln. »Ihr habt recht, Meister Karem«, log sie. »Ich werde in drei Tayfs zwölf.«
    Er kicherte zufrieden. »Gut, gut.« Dann bewölkte sich sein faltiges Gesicht. »Nein, nicht gut. Du bist viel zu alt, um mit der Lehre anzufangen. Viel zu alt. Wie soll ich einen Jungen ausbilden, der alles schon besser zu wissen meint als sein Lehrmeister, hä? Sag mir das!« Er fuchtelte mit einem krummen Zeigefinger vor ihrer Nase herum. »Wenigstens bist du nicht so ein großer, grober Klotz. Ach, es ist ein Elend, ein wahres Elend! Muss ich denn wahrlich ins Grab fahren ohne einen würdigen Nachfolger gefunden zu haben? Was für eine Schande, dass eine alte, angesehene Profession auf diese Art zugrunde gehen soll!«
    Er lamentierte noch eine Weile weiter, ohne dass Tajo erfuhr, welches Handwerk dieser kindische Greis
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