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Elfenblick

Elfenblick

Titel: Elfenblick
Autoren: Katrin Lankers
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nicht mit dem Boden verschweißt war. Dann versuchte er, die Sachen auf Trödelmärkten wieder zu verscherbeln. Das Geschäft lief nur mittelmäßig, weshalb er das Gebäude verkaufen musste. Allerdings hatte er mit Jost vereinbart, dass er einen der riesigen Räume weiterhin als Lager nutzen konnte, und zahlte ihm dafür eine geringe Miete. Man musste also zunächst durch Herrn Fingers Kuriositätenkabinett, wenn man in Josts heilige Hallen gelangen wollte, und Mageli verbrachte fast ebenso viel Zeit dort wie in der Werkstatt ihres Vaters. Besonders liebte sie die lange Regalreihe, die voller Bücher stand. Es waren so viele, dass Herr Finger sie in zwei Reihen hintereinander angeordnet hatte. Krimis teilten sich die Borde mit Kochbüchern, Comics standen neben Goethe und Schiller, Historisches war neben Science-Fiction gequetscht. Normalerweise zogen die Bücher Mageli magisch an, und es verging kein Besuch in der Werkstatt, ohne dass sie nicht wenigstens ein oder zwei Bände hervorzog, sich auf den staubigen Betonboden hockte und darin schmökerte.
    Heute hatte sie es jedoch eilig. Sie ließ die Bücherregale links liegen, drückte sich vorbei an mehreren Kisten mit Porzellan, das gefährlich klapperte, und wäre in ihrer Hast beinahe über ein Schaukelpferd gefallen, das mitten im Gang stand. »Du hast deine besten Zeiten aber auch hinter dir«, sagte sie zu dem Tier, von dem fast alle Farbe abgeblättert war. Sie strich ihm über die hölzerne Mähne und schob es zur Seite. Das Pferd wippte mit einem leisen Knacken vor und zurück.
    Mageli entriegelte die zweite Tür, die aus schwerem Metall war, drückte sie mühsam auf und ließ sie mit einem Knallen wieder zufallen. Dann atmete sie tief ein. Ein würziger Geruch nach frischem Holz strömte in ihre Nase. Mageli knipste an dem Schalter neben der Tür die langen Neonröhren an. Ihr Vater hatte einiges von seinem Werkzeug mitgenommen, dennoch hingen überall seine Geräte. Der große Raum wirkte, als sei Jost nur mal kurz rausgegangen: Zugeschnittene Holzteile lehnten an den Wänden, in der großen Kreissäge steckte ein unbearbeitetes Brett, Sägespäne bedeckten den Boden, und auf den langen Bänken lagen einige Pfeifenrohre, die darauf warteten, gelötet zu werden.
    Mageli setzte sich auf den Drehstuhl am Schreibtisch, der direkt rechts neben der Tür stand, schaltete den Computer ein, und während die alte Kiste brummend hochfuhr, zog sie die Zeitungsseite aus dem Rucksack, die sie morgens zwischen die Hefte gestopft hatte. Noch einmal las sie den Artikel durch. Das war doch total verrückt, so etwas konnte doch nicht wirklich passieren!
    Mageli tippte das Passwort und wählte sich ins Internet. Sie gab »Kinder« und »vertauscht« in eine Suchmaschine ein: über hunderttausend Treffer. Das war ja unglaublich! Gut, da war auch viel Blödsinn dabei. Einer der ersten Treffer war eine Seite mit Hebammenwitzen. Zu der aktuellen Geschichte in Süddeutschland, um die es in dem Zeitungsartikel ging, gab es zahllose Treffer und offenbar handelte es sich dabei nicht um einen Einzelfall. Die Onlineausgabe einer großen Zeitung berichtete über einen ähnlichen Fall im Ruhrgebiet unter der Schlagzeile: »Mütter stillten die falschen Babys.« Auch aus Tschechien und Italien waren in letzter Zeit Meldungen über vertauschte Kinder gekommen. In verschiedenen Foren diskutierten Mütter das Thema und Politiker forderten strengere Kontrollen in den Kliniken. Dass die Verwechslungen aufgeflogen waren, war in allen Fällen purer Zufall. Nur weil die Väter der Kinder an der Treue ihr Frau gezweifelt hatten und einen Gentest machen ließen, entdeckten die Eltern, dass sie das falsche Kind mit nach Hause genommen hatten.
    Jost war jedoch nicht misstrauisch, sondern eher zu gutgläubig. Magelis Vater war in der Lage, einem Vertreter an der Haustür alle Staubsauger abzukaufen, wenn der ihm von seiner schwerkranken Mutter erzählte, die dringend Geld für lebenswichtige Medikamente brauchte. Jost hätte niemals einen Test machen lassen. Mageli spürte, wie sie eine Gänsehaut auf den Armen bekam. Theoretisch war es also möglich.
    Schnell tippte sie neue Begriffe in die Suchmaschine ein. »Krankenhaus« und »Neuenburg«. Sie wusste, dass sie ebenso wie ihre Brüder in dem einzigen Krankenhaus der nächsten größeren Stadt auf die Welt gekommen war. Sie klickte auf den Link zur Homepage der Klinik und weiter zur Abteilung für Geburtshilfe. »Drei Dinge sind uns aus dem Paradies
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