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Elf Zentimeter

Elf Zentimeter

Titel: Elf Zentimeter
Autoren: Stefan Scheiblecker
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mir eine weitere Zigarette an. Wegen meines Gipsarmes war das gar nicht einfach. Die Autos auf der Straße wurden weniger, und ab und zu musste ich eine Gelse erschlagen. Ich holte mir einen Eistee aus dem Getränkeautomaten und beobachtete eine Maus, die zwischen den Betonstufen und den Sträuchern hin und her huschte.
    »Einen schönen guten Abend.«
    Die Stimme hinter mir gehörte einer Frau. Ich drehte mich um. Es war Schwester Marianna. Die Assistentin bei meinem Kugellager-Eingriff. Das durfte nicht wahr sein.
    »Hallo.«
    Ich war verlegen.
    Sie suchte ein Feuerzeug und in meiner Verwirrung fiel mir gar nicht ein, ihr meines anzubieten. Sie musste mich erst danach fragen. Ich sprang auf.
    »Hallo«, grüßte ich irrtümlich noch einmal.
    Eigentlich wollte ich »Bitte sehr« sagen.
    »Danke«, sagte sie.
    »Pause?«
    »Nicht viel los heute.«
    »Aha.«
    »Du bist der mit dem Unfall, oder?«, fragte sie.
    »Mit welchem Unfall?«, fragte ich vorsichtig.
    »Motorrad.«
    »Ja, genau.«
    Meine Stimme klang eindeutig viel zu erleichtert.
    »Glück gehabt«, sagte sie.
    »Voll.«
    Sie lächelte und strich sich mit den Fingerspitzen die lockigen blonden Haare hinter das Ohr. Ich stellte mir vor, wie sie mir damals, über den Operationstisch gebeugt, zwischen die Beine geschaut und sich über meinen kleinen Schwanz amüsiert hatte.
    Aber entweder konnte sie sich wirklich nicht an mich erinnern, oder sie war höflich genug, sich nichts anmerken zu lassen. Wenn Letzteres der Fall war, wäre ich gerne im Boden versunken.
    »Was machst du so im Sommer?«, fragte ich, weil mir nichts Besseres einfiel.
    »Ich fliege mit ein paar Freunden nach Teneriffa.«
    »Schwimmen?«
    »Tauchen, Wandern und ein bisschen Windsurfen.«
    »Da hast du ja einiges vor.«
    »Und du? Was machst du so?«
    Ich überlegte kurz, wie ich mein Sommerprogramm am besten umreißen konnte.
    »Ich habe erst vor Kurzem meine Arbeit gekündigt«, sagte ich schließlich.
    »Wo hast du gearbeitet?«
    »Bei der Eisenbahn.«
    »Interessant. Lokführer?«
    »Nein. Am Schalter.«
    »Und warum hast du gekündigt?«
    »Ich bin eigentlich Kabarettist und will mich in Zukunft mehr darauf konzentrieren.«
    »Echt? Hattest du schon Auftritte?«
    »Klar. Ich war mit meinem ersten Programm bei mir zu Hause in Hainfeld recht erfolgreich, dann war ich auch in anderen Orten und sogar ein bisschen in Wien.«
    Das stimmte. Nach meinem ersten Auftritt waren die Hainfelder richtig euphorisiert gewesen. Ein Mädchen war so begeistert von mir, dass es sofort mit ihr funktionierte. Unter einem Baum. In derselben Nacht. Einfach so. Etwas, das mir weder davor noch danach je wieder gelungen war.
    »In Wien auch?«, fragte Marianna. »Und was für ein Kabarett machst du so?«
    »In meinem ersten ging es um Ibiza, und wie furchtbar der Tourismus dort ist.«
    »Auf Teneriffa werden wir uns von den Hotelburgen fernhalten, meine Freunde und ich«, sagte Marianna schnell.
    »Und dann habe ich gerade noch ein Programm über Workaholics und Aussteiger aus diesem geldvernarrten System geschrieben«, sagte ich.
    Sie schwieg kurz. Sie schien weiter über den geplanten Urlaub nachzudenken.
    »Du willst nicht vielleicht mitkommen nach Teneriffa, oder? Dort könntest du super an deinem Kabarett arbeiten. Ich fahre mit meiner besten Freundin und ihrem Freund hin. Die Familie von meiner besten Freundin ist von dort. Sie stammt von den Ureinwohnern ab, von den Guanchen. Wir wohnen bei ihrer Oma. Magst du?«
    Ich war ziemlich verdutzt. Falls sie meinen Schwanz vor sieben Jahren doch gesehen hatte, musste ihr klar sein, dass er seitdem wohl nicht gewachsen war. Mein zweiter Gedanke galt meiner finanziellen Situation. Schon der Eistee war eine gewagte Ausgabe gewesen.
    Meinen Job bei den Bundesbahnen zu kündigen, war ein Fehler gewesen. Das Abklappern von Wirtshäusern und Kulturinitiativen wegen Auftrittsmöglichkeiten kostete viel Zeit und Energie, und die Auftritte, die ich dabei ergatterte, brachten längst nicht mehr so viel ein wie mein erster. So hübsch diese Krankenschwester Marianna auch war, ich musste ablehnen.
    »Ich glaube, das schaffe ich nicht«, sagte ich.
    Sie sah traurig aus. Ihre Zigarette war längst ausgedämpft.
    »Überleg es dir«, sagte sie. »Ich muss wieder an die Arbeit.«
    Sie verschwand durch die automatische Tür.
    Ich saß noch kurz auf der Treppe und rauchte noch eine Zigarette. Dann ging ich schlafen.

[home]
    6
    A m frühen Morgen weckte mich Marianna. Sie öffnete mit
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