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Elf Zentimeter

Elf Zentimeter

Titel: Elf Zentimeter
Autoren: Stefan Scheiblecker
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Stimmung war, passierte auch mehr, dann versprach sie mir das Blaue vom Himmel, um hinterher alles wieder zurückzunehmen. Anfangs hatte sie noch Tränen in den Augen, wenn sie sagte, dass aus uns beiden doch nichts werden könne, später konnte sie mir mit eiserner Miene die härtesten Dinge an den Kopf werfen. Es war bestimmt keine Bösartigkeit ihrerseits, das glaubte ich jedenfalls. Das regelmäßige Schlussmachen war einfach zur Routine geworden.
    Ich fragte mich pausenlos, was ich machen könnte, um zu einem Alphamann zu werden, an dem für sie kein Weg vorbeiführte. Während ich früher auch einmal schwach, krank und ungeschickt sein konnte, musste ich jetzt Supermann spielen. Aber was macht einen Supermann aus? Auf jeden Fall Geld. Ich kündigte also meine Stellung in dem Möbelhaus, in dem ich seit dem Ende meiner Schulzeit in der Bettenabteilung gearbeitet hatte, und wechselte zu den Bundesbahnen. Der Unterschied war nicht gerade gewaltig, aber es war immerhin eine Art Karrieresprung.
    Fest stand weiters, dass bei einem Supermann jene Körperteile, die den Mann als solchen von der Frau unterscheiden, Übergröße haben müssen. Das bezog sich natürlich nicht auf den Bierbauch. Die Kinofilme und die Werbung machten das klar. Überall wimmelte es von Muskelprotzen mit ausgebeulten Hosen und jede männliche Nebenrolle sah mindestens wie Conan aus.
    Dass dem so ist, hat meiner Meinung nach mit der Emanzipation zu tun. Seit Frauen zunehmend traditionelle Aufgaben der Männer wie Ernährung der Familie und Kriegsführung übernehmen, müssen Männer ihre Männlichkeit anders beweisen. Zum Beispiel durch einen mächtigen Bizeps und einen ebensolchen Schwanz. Es gibt einen Werbeclip, in dem sich eine zarte Frau vor dem Spiegel schminkt, während im Hintergrund ein Muskelprotz mit dem selbstbewussten Lächeln eines Mannes mit Dreißig-Zentimeter-Prügel die Waschmaschine einräumt. Außerdem habe ich gehört, dass auch in der Evolutionsgeschichte der Menschheit große Schwänze einen Selektionsvorteil darstellten. Große Penisse dienten ihren Trägern als Pumpen, um beim Sex das Sperma ihrer Vorgänger wieder aus der Vagina der Frau zu befördern.
    Und dann die Pornos, in denen es diese Geräte in voller Aktion zu sehen gibt. Ich hatte keine Freundin mehr und stattdessen multiple Minderwertigkeitskomplexe, für die ich schon immer üppige Nahrung fand. In Sachen Porno zum Beispiel war ich traumatisiert, seit ich mit neun Jahren mein erstes Sexheft in den Händen gehalten hatte. Es gehörte Jakobs Vater. Jakob und ich blätterten es bei ihm im Garten zwischen einer Hecke und einem Rosenstrauch aufgeregt durch. Zwischen vielen bunten Seiten mit Hardcore-Super-Extrem-Sex waren einige einem Mann gewidmet, der einen Knoten in seinen Schwanz machen konnte. Er hieß Long Dong Silver und sein Dong war gleich fünfundvierzig Zentimeter lang, also fast einen halben Meter oder vier Mal so lang wie meiner mit noch einem Zentimeter als Bonus.
    Immerhin musste Gerüchten zufolge immer ein Arzt anwesend sein, wenn er mit Erektion gefilmt oder fotografiert wurde. Denn sein Schwanz nahm im steifen Zustand so viel Blut in Anspruch, dass für diesen Pornodarsteller immer die Gefahr bestand, bewusstlos umzukippen.
    Später erfuhr ich aber, dass die längste von einem Mediziner erfasste und professionell dokumentierte Erektion nur 34,3 Zentimeter betragen habe. Also immer noch drei Mal so lang wie meiner, plus 1,3 Zentimeter. Wenn also Long Dong Silver seine eigene Länge nicht für alle Ewigkeit beglaubigen ließ, ist es wahrscheinlich, dass es sich bei ihm nur um eine Täuschung durch die Pornoindustrie handelte. Schon seltsam auf jeden Fall, dass mir das Schicksal ausgerechnet diesen physiognomischen Sonderfall in meinem ersten Sexmagazin servierte.
    Es gibt bei der ganzen Sache wohl ein grundsätzliches Problem. Frauen beschweren sich längst offen, dass das Bild des weiblichen Körpers auf Plakatwänden per Photoshop bis ins Absurde perfektioniert wird, womit sie sich diesen Maßstäben halbwegs entziehen können. Männer hingegen sind mit genau dem gleichen Problem allein. Niemand redet darüber. Ich kann mich nur zu gut an eine in ganz Österreich plakatierte Werbung mit dem Fußballstar David Beckham erinnern. Wenn es seine Mutter nicht mit einem Pferd getrieben hat, müssen die Werbeleute die Beule zwischen seinen Beinen um ein Mehrfaches vergrößert haben.
    Planlos tat ich gegen meine Komplexe, was mir gerade so einfiel.
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