Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Elf Zentimeter

Elf Zentimeter

Titel: Elf Zentimeter
Autoren: Stefan Scheiblecker
Vom Netzwerk:
Ich wollte mir wenigstens wieder mehr Muskeln antrainieren, da ich in der Zwischenzeit kaum Sport betrieben und dadurch auch wieder zugenommen hatte. Allerdings klappte das nicht mehr so gut wie einst. Zuerst ging es mir nicht schnell genug, und dann fehlte mir die Ausdauer. Ich war eher in der Verfassung, dumpf an die Zimmerdecke zu starren und mich zu betrinken. Das war mir lieber, als im Fitnesscenter zwischen Kolossen zu schwitzen, die unter der Hand Testosteron-Tabletten verkauften. Die Testosteron-Tabletten nahm ich allerdings trotzdem. Ich hielt es für eine gute Idee, meinem Körper mit ein paar zusätzlichen männlichen Hormonen auf die Sprünge zu helfen und kaufte für fünfundsechzig Euro eine hübsche hellblaue Plastikdose mit neunzig Stück. Von der ersten Tablette an fühlte ich mich wunderbar, bis ich im Internet etwas über die Nebenwirkungen erfuhr. Neben einer Veränderung des Skeletts – Testosteron wird auch bei der Behandlung von Osteoporose eingesetzt – sind eine Vergrößerung der Talgdrüsen, Kreislaufprobleme, Arteriosklerose, Blutgerinnsel, Schlaganfälle und einige andere Unannehmlichkeiten möglich.
    Außerdem gibt es Nebenwirkungen, die ganz zum Gegenteil dessen führen, was man sich vom Männer-Hormon Testosteron versprechen würde. Da die Hoden durch das von außen zugeführte Hormon zu faul werden, es selbst zu produzieren, schrumpfen sie nach einiger Zeit auf ein absolutes Minimum zusammen. Beim Absetzen der Tabletten kann es dann zu einem schweren Testosteronmangel kommen, wodurch einem erwachsenen Mann sogar Brüste wachsen können. Nachdem ich das erfahren hatte, brach ich die Einnahme sofort ab. Vielleicht hatte ich sogar Glück gehabt und der Koloss aus dem Fitnesscenter hatte mir reine Gelatine verkauft. Angeblich kommt das am Schwarzmarkt vor.

[home]
    4
    I ch gab trotzdem die Hoffnung nicht auf, meinen Penis durch Medikamente vergrößern zu können. Im Internet gab es so viel verheißungsvolle Werbung für diverse Mittelchen. Ich hatte bloß keine Kreditkarte und wollte auch nicht in einem Sex-Shop nach solchen Mitteln fragen. Also eruierte ich die Nummer und das Ablaufdatum der Kreditkarte meines Vaters. Dann suchte ich mir das Mittel mit der schönsten Verpackung aus, gab die Nummern ein, klickte auf »jetzt kaufen«, klickte noch einmal und noch einmal, aber nichts passierte. Der Computer war abgestürzt. Ich fuhr ihn wieder hoch, öffnete die Seite abermals und gab noch einmal alle Daten ein. Da läutete das Telefon. Jakob wollte mit mir ein Bier trinken gehen. Ich verschob die Bestellung vorerst und ging lieber ins Wirtshaus.
    Anschließend machte ich mir monatelang Sorgen, die Bestellung könnte doch erfolgreich gewesen sein. Aber niemand sagte etwas und mir fiel kein verdächtiges Päckchen auf. Ich schwor mir, nie wieder derartige Aktionen zu starten. Bloß hielt mein Vorsatz nicht sehr lange. Es war so ähnlich, wie sich zu schwören, nie wieder Pornofilme anzusehen. Nach ein paar Tagen bleibt man an einer Unterwäschewerbung hängen, gönnt sich ein paar einschlägige Bildchen und schon ist man wieder bei den Filmen. Außer man ist ein Heiliger.
    Die Yamaha 1300 XJR , die ich mir ein halbes Jahr vor dem Unfall zugelegt hatte, war vielleicht auch nur ein Versuch gewesen, meine Männlichkeit aufzuwerten. Ich kaufte sie, als mir klar wurde, dass es für mich keine Hoffnung mehr gab, irgendwann mit mir selbst und mit der Liebe glücklich zu werden. Ich begriff es bei einer Party ehemaliger Schulkollegen vom Gymnasium. Die Burschen waren mir ziemlich egal, und die meisten von ihnen kannte ich nicht einmal, weil ich ja nach drei Jahren die Schule gewechselt hatte. Ich war nur wegen Sabine hingegangen, und dann wartete und wartete ich, aber sie kam nicht. Ich hatte mich nach der halben Ewigkeit, die seit unserer letzten Trennung vergangen war, so sehr auf ihre weichen hellbraunen Haare und ihre lebendigen dunklen Augen gefreut. Ich hatte die Vorstellung, dass ich sofort wieder mit ihr so eins sein könnte wie früher, sofort, gleich nachdem sie leuchtend und lachend durch die Tür treten würde. Aber sie kam und kam nicht. Deshalb fing ich an zu trinken und schwelgte in zunehmend angeheitertem Zustand in den Erinnerungen an die Andeutungen, die sie bei unserer letzten Trennung neuerlich gemacht hatte. Dass sie sich nur mich als Vater ihrer Kinder vorstellen könnte und dass wir dann vielleicht einen Bauernhof mit allerlei Tieren haben würden. Sabine selbst war es,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher