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Elf Zentimeter

Elf Zentimeter

Titel: Elf Zentimeter
Autoren: Stefan Scheiblecker
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die mich aus diesen Tagträumen riss. Als sie endlich bei der Party aufkreuzte, grüßte sie mich übermäßig freundlich und lachte viel zu nett.
    »Wie ist es bei dir?«, fragte sie schon nach kurzer Zeit. »Hast du wieder eine Freundin gefunden?«
    »Natürlich nicht«, sagte ich.
    Mehr gab ich lieber nicht von mir, denn in den Phasen unserer Trennung hatte ich schon immer Angst gehabt, etwas Falsches zu sagen oder zu tun.
    Sabine murmelte etwas Unverständliches und mischte sich in der Küche einen Gin Tonic. Ich stand noch im Vorzimmer mit der Bierdose in der Hand und ahnte Übles. Warum hatte sie mich gleich zur Begrüßung nach meinem Liebesleben gefragt? Warum ging sie mir aus dem Weg, um sich mit ihren Freundinnen zu unterhalten? Die benahmen sich, als gäbe es etwas zu feiern.
    Schließlich hielt ich es nicht mehr aus. Als ich betrunken genug war, ging ich zu ihr und tippte ihr auf die Schulter.
    »Und du?«, fragte ich.
    Sie tat so, als wisse sie nicht, was ich meinte.
    »Hast du einen Freund gefunden?«
    Sie lächelte und nickte mütterlich und frauenhaft stolz, als bestätige sie gerade die großartigste Sache der Welt.
    »Kenne ich ihn?«
    »Es ist Sandro.«
    Ihr Lächeln wurde breiter.
    Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wer Sandro war. Ich kannte keinen Sandro.
    »Hat er Muskeln?«, fragte ich.
    »Also wirklich.«
    »Einen Riesenschwanz hat er sicher auch.«
    »Überhaupt nicht.«
    »Aber größer als meiner ist er ja wohl.«
    »Frag ihn doch selbst. Du kennst ihn.«
    »Woher?«
    »Der Barkeeper in der einen Disco in Sankt Pölten, in der wir so oft zusammen gewesen sind. Der mit den langen blonden Locken.«
    »Und dem größeren Schwanz.«
    »Vielleicht.«
    Ich war wirklich sehr betrunken.
    »Wirklich, Stefan«, sagte Sabine. »Vielleicht heiraten wir beide ja doch einmal. Kinder, Bauernhof, weißt du noch? Ich mag dich noch immer sehr.«
    Meinte sie das ernst? Oder wollte sie mich einfach nur trösten? Mir schwindelte. Ich musste nach Hause. Die Musik war sowieso zum Kotzen.
    Am nächsten Tag – es war der Tag, an dem ich das Motorrad kaufte – beschloss ich, über das Thema Schwanzgröße des neuen Freundes meiner Ex prinzipiell nie wieder nachzudenken, geschweige denn, es jemals wieder aufs Tapet zu bringen. Damit konnte man sich nur die Stimmung versauen, und zu gewinnen war damit sowieso nichts. Trotzdem ging mir nicht aus dem Kopf, womit mein Nachfolger meiner Sabine dieses stolze Lächeln auf die Lippen zauberte. Ich fragte Jakob nach ihm.
    »Sicher kennst du den«, sagte er. »Das ist der dünne Blonde mit den schiefen Beinen.«
    »Keine Ahnung. Ist er wenigstens unsympathisch?«
    Jakob wich aus.
    »Ich kenne ihn nur als Kellner.«
    Mehr Informationen waren ihm nicht zu entlocken. Ich legte auf, zog mich an, fuhr nach Wien, suchte einen Motorradhändler und kaufte mir die Yamaha. Ein Naked Bike, also eine Maschine ohne Karosserie. Um mein letztes Geld. Im Winter. Ende Jänner. Sie war sauteuer. Jetzt ist sie Schrott. Und sie war eigentlich kein Ersatz für fehlende Zentimeter, sondern einer für Sabine.
    Ein Kollege aus dem Möbelhaus nahm sich nach der letzten Trennung eine Katze und nannte sie Lilli nach seiner Exfreundin. Dabei betonte er, dass diese Lilly mit Ypsilon hieß, seine Katze aber Lilli mit i. Er ging sogar mit der Katze an der Leine im Park spazieren und kaufte ihr das teuerste und vitaminreichste Spezialfutter. Meine Yamaha 1300 XJR hieß wenigstens nur Yamaha, vielleicht einmal Yamahalein oder Yamahaline, jedenfalls weder Sabine noch Sabyne.
    Trotzdem dachte ich immer noch ständig an sie. Ich fand sie immer noch wunderbar. Ihre Augen waren so unglaublich groß. Ich konnte nie aufhören, in diese Augen zu schauen. Einmal hatte ich ihr das Frühstück ans Bett gebracht. Es war nichts Besonderes, nur ein Marmeladebrot. Während ich den Kaffee aus der Küche holte, verteilte sie rasch die Marmelade auf ihrer Brust. Das war fein.
    Wir hatten sogar schon Namen für unsere Kinder. Sie waren etwas komisch, Wenzel für einen Buben und Margit für ein Mädchen, aber ich hätte sie trotzdem gerne mit ihr gehabt. Meine elf Zentimeter waren mit ihr kein Thema mehr gewesen, und wenn sie mich nicht verlassen hätte, wären sie vielleicht auch nie wieder eins geworden. Aber so war das Leben nun einmal nicht. Alles hing mit allem zusammen und unter dem Strich war mein Schwanz wohl einfach zu kurz.

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    5
    I ch saß nun schon mehr als eine Stunde vor dem Krankenhaus und zündete
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