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El Silbador

El Silbador

Titel: El Silbador
Autoren: Berndt Guben
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war Graf Rudolf von Eberstein. Der junge Second-Lieutenant übernahm den Zug, in dem Michel Baum seine Muskete trug. Ein Aufblitzen in den Augen des Offiziers verriet, daß er Michel wiedererkannte.
    Michel ließ die Musterung des Grafen gleichgültig über sich ergehen. Am liebsten hätte er gepfiffen; aber er wollte es nicht darauf ankommen lassen, Stockhiebe für eine Insubordination, wie man das so schön nannte, zu ernten.
    »Wachtmeister«, sagte der junge Leutnant, »melde er mir diesen Mann nach Dienstschluß zum Rapport!«
    Der «Spieß« riß die Hacken zusammen und brüllte: »Jawohl, Herr Leutnant!«
    Dann nahm er sein dickes Buch zwischen den zwei oberen Knöpfen seiner Jacke hervor und merkte den Musketier Michel Baum zum Rapport vor.
    Leutnant Rudolf von Eberstein hielt es nicht für nötig, sich von seinem Stuhl zu erheben, als der Musketier Baum vorschriftsmäßig ins Zimmer trat.
    »Ah, da ist er ja«, sagte er nur. »Welch ein famoses Zusammentreffen. Wie fühlt er sich?« »Ich würde Euch einen kleinen Gang im Säbelfechten vorschlagen«, antwortete Michel, ohne seine Haltung zu vernachlässigen. »Ihr könnt dann am besten meine Gefühle beobachten.«Der Leutnant sprang auf.
    »Er ist ein ganz vermaledeiter Bursche! Hat er verstanden?« »Die Rache ist allein des Herrn.« »Was untersteht er sich?«
    »Ich wollte lediglich beweisen, daß ich einige Kenntnis der Bibel habe, wie es sich für einen landgräflichen Musketier gehört.«
    Rudolf von Eberstein wußte nicht, was er darauf erwidern sollte. Diesem Mann fühlte er sich in keiner Weise gewachsen. Er schlug plötzlich einen überaus freundlichen Ton an und sagte: »Setzt Euch, wir wollen in Ruhe diskutieren.«
    »Ich möchte mich keiner Insubordination schuldig machen«, antwortete Michel Baum ruhig und blieb stehen. »Auch nicht, wenn ich dazu aufgefordert werde.« Abermals war der Leutnant sprachlos.
    »Was seid Ihr eigentlich für ein sonderbarer Musketier?« fragte er verwundert.
    »Ich bin kein Musketier, sondern ein Mensch, den man zum Musketier gemacht hat«, erwiderte Michel. »Im übrigen bin ich Doktor der Medizin Michel Baum, den man gegen alles bestehende Gesetz verurteilt hatte, weil er einem Straßenräuber zeigte, wie er sich zu benehmen hat.«
    Der junge Offizier machte eine Bewegung der Ungeduld.
    »Wollen wir das nicht vergessen?«
    Michel Baum nickte.
    »Ich will es Euch nicht nachtragen, Herr. Aber vergessen kann ich es nicht. Daran hindert mich dieser bunte Fetzen auf meiner Haut. Wahrscheinlich war es Schicksal, daß wir uns vorher begegnet sind. Kein Mensch weiß, was ihm die Zukunft bringen wird. Man muß nur versuchen, sie so gut wie möglich zu meistern. Ich habe Pech gehabt.« »Ihr versteht die Waffe so meisterhaft zu führen, daß man in Euch den geborenen Soldaten vermuten würde. Warum stört Euch die Montur?«
    »Weil sie mich zwingt, die Waffe eben dann zu führen, wenn ich sie vielleicht lieber in der Scheide ließe. Was zum Beispiel haben mir Washingtons Leute in Amerika getan, daß ich gegen sie zu Felde ziehen soll?«
    Der Leutnant blickte nachdenklich in eine Ecke des Raumes und schwieg. Nach einer Weile zuckte er die Achseln und sagte leichthin:
    »Wozu werden dann überhaupt Kriege geführt? Schließlich haben uns die Soldaten der feindlichen Armeen in den meisten Fällen kein persönliches Leid zugefügt.« Michel lachte.
    »Dieselbe Frage habe ich mir wohl schon tausendmal gestellt, ohne sie beantworten zu können. Es ist die wichtigste Frage auf der Welt überhaupt.« Der Leutnant wurde unruhig.
    »Wir bewegen uns auf ein Thema zu, das sich für Soldaten nicht geziemt. Er kann jetzt gehen, Musketier Baum.«
    Michel spreizte die Beine und winkelte den Hut an. Dann machte er eine zackige Kehrtwendung, wie man sie ihm eingedrillt hatte, und verließ den Raum.
    Leutnant von Eberstein blieb in Gedanken zurück und lauschte dem sich entfernenden Pfeifen.
    Es war unverkennbar, daß über den Mannschaften eine gewisse Spannung lag. Von Tag zu Tag verdichtete sich das Gerücht, daß die Abfahrt nach England und damit die Einschiffung nach den Vereinigten Staaten von Amerika bevorstehe.
    Michel lebte äußerlich das Dasein eines Musketiers, der mit allem zufrieden war. Ein engeres Zusammenkommen mit dem Leutnant von Eberstein vermied er absichtlich; denn er wollte sich nicht abermals dem Befehl »Er kann jetzt gehen, Musketier Baum!« aussetzen, wenn der Leutnant bei einem Gespräch nicht mehr
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