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Ekel / Leichensache Kollbeck

Ekel / Leichensache Kollbeck

Titel: Ekel / Leichensache Kollbeck
Autoren: H Girod
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Einzelhandels.
    „Das wäre das richtige Geschenk für Lisbeths Tochter zur Entbindung.“ Sie freute sich über die Idee, als der Junge, dessen Schweigsamkeit auffällig war, herauspreßte: „Fanselow kommt heute Abend. Elternbesuch.“
    „Heute?“ fragte die Mutter unwillig. „Kann er nicht früher Bescheid sagen? Oder weißt du das schon länger?“
    „Nein, er hat’s heute gesagt, es geht um den Schulabschluß oder so was.“
    „Das paßt mir aber gar nicht. Kommt selten genug, und dann grade, wenn ich was vorhabe.“
    Doch schon ist die Mutter beschwichtigt. „Ist nicht so schlimm, dann fahre ich ein anderes Mal nach Burg“, reagierte sie überraschend. „Du bist mir schon wichtiger als die Wanne. Die kriege ich auch noch ein andermal.“
    Der Vater war vom Tisch aufgestanden: „Manne, kommst du mit raus in die Rüben?“
    „Nee, geht nicht, wir haben noch von der FDJ was – in Theeßen“, log Stötzel.
    Hinter seinen Schläfen hämmerte es schmerzhaft, so sehr beschäftigte ihn die nahende Bedrohung. Während sein Bruder der Mutter beim Abwasch half, zog er sich nachdenklich zurück. Der Schuppen war der einzige Ort, an dem er sich allein und sicher fühlte. Dort stand sein Fahrrad, an dem er gern herumbastelte, dort befand sich allerlei Werkzeug, dorthin hatte er Omas alten Volksempfänger gerettet, der immer noch funktionierte. Über eine Stunde verging, bis er den Schuppen verließ. Zwar hatte er noch keinen Plan, aber eins stand fest: Fanselow darf nicht nach Grabow kommen!
    Ich werde ihm sagen, meine Mutter ist nach Burg gefahren, und Vater ist auf dem Rübenacker, keiner hat Zeit! Fanselow müßte dann sagen: Gut, verschieben wir den Besuch! Und wenn er das nicht tut? – Die Gedanken schossen durch seinen Kopf, während er seinen Pflichten nachging. Er fütterte die Hühner, stampfte in der Futterküche Kartoffeln für die Schweine, wie es seine Aufgabe war.
    Dann kehrte Manfred Stötzel in den Schuppen zurück. Beim Anblick der Werkzeuge nahm die Lösung Gestalt an: Ich werde ihn irgendwie verwunden, dann muß er zum Arzt und kann nicht zu uns kommen. Nur ein bißchen stechen, irgendwie ritzen oder stechen. Nur verletzen. Es darf nicht schlimm sein, aber er muß gleich zum Arzt! Nein, sterben darf er nicht. Das war’s. Endlich wurde er ruhig, merkwürdig ruhig. Seine Blicke tasteten über die Werkzeuge. Damit geht’s! Er griff nach einem spitzen, kantigen Gegenstand, einer Reibahle mit etwa handlanger Klinge, betrachtete sie wie abwesend.
    Dann setzte er sich an das verstaubte Radio und suchte … den Freiheitssender 904.
    Es war einer der Tarnsender der DDR-Ideologen, der als Waffe im kalten Krieg eingesetzt wurde. Mit seinen Schlagern sollte er vor allem die westdeutsche Jugend auf sich aufmerksam machen. Die DDR-Jugend indes weigerte sich zu akzeptieren, daß ihnen verboten sein sollte, diesen Sender zu hören. Seine Sendeantennen verbargen sich in einem polizeilich geschützten Wald bei Reesen, in der Nähe von Burg. Von dort aus begann er am 18. August 1956, einen Tag nach dem KPD-Verbot in der Bundesrepublik, zu senden.
    Doch das alles wußte Stötzel nicht. Es interessierte ihn einfach nicht. Viel wichtiger war etwas anderes: Hier kam Musik nach seinem Geschmack – die besten Hits aus dem Westen, die man auf heimischen Radiofrequenzen vergeblich suchte. Nur hin und wieder wurden die heißen Rhythmen für kurze Augenblicke unterbrochen. Dann hauchte eine zarte Frauenstimme geheimnisvolle Sätze in den Äther, wie „Achtung, Bäckermeister! Der Teig wird sauer.“ Kein Mensch verstand das. Doch es erweckte den Eindruck, daß die kommunistischen Untergrundkämpfer Westdeutschlands auf diesem Wege wichtige Nachrichten erhielten. Solche Unterbrechungen waren lästig, doch wurden sie in Kauf genommen, um Drafi Deutscher, Siw Malmquist, die Rolling Stones oder die Tornados in die ostdeutschen Stuben zu holen.
    Bis zum späten Nachmittag saß er so da, die Reibahle in den Händen.
    Dann verstaute er sie in seiner Gesäßtasche, nahm sein Fahrrad und verließ endgültig den Schuppen. Er war ohne Hast und Anspannung, sah noch nach der Mutter im Gemüsegarten hinter dem Haus, ohne sie anzusprechen, und radelte gemächlich nach Stresow.
    Sein Ziel war das Gehöft der Familie Pandelitz. Wie erwartet, entdeckte er das sorgfältig abgestellte Motorrad seines Lehrers auf dem Hof. Sein Schulkamerad war nicht zu sehen, aber dessen jüngere Geschwister, die dort spielten, kamen Stötzel eilig
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