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Ekel / Leichensache Kollbeck

Ekel / Leichensache Kollbeck

Titel: Ekel / Leichensache Kollbeck
Autoren: H Girod
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seiner Schüler Besuche bei deren Eltern anzukündigen.
    „Es geht um die Berufsausbildung und um ein paar Dinge, die mit dem Schulabschluß zusammenhängen. Also: Stötzel, Wasdow und Pandelitz, ihr informiert bitte eure Eltern, daß ich heute im Laufe des Nachmittags mal auftauche.“
    Wasdow vermutete, daß es um Werbung als Soldat auf Zeit ging, die ihm eine Lehrstelle als Feinmechaniker sicherte. Beim Verlassen des Schulgebäudes wandte er sich fragend an Pandelitz, dem der Anlaß des Elternbesuches ebenfalls sonnenklar schien: „Der Fanselow will meinen Alten überzeugen, daß ich auf der LPG als Melker anfange. Da können die aber machen, was sie wollen. Nach der Fahne hau ich sowieso ab aus meinem Kaff.“
    Stötzel indes zuckte auf die Frage, warum der Lehrer auch zu seinen Eltern nach Grabow kommen wollte, gespielt gleichgültig mit den Schultern: „Keine Ahnung. Soll er doch, wenn’s ihm Spaß macht.“
    Die Sechzehnjährigen schwangen sich auf ihre Fahrräder, verabschiedeten sich und radelten in verschiedene Richtungen heimwärts in ihre Dörfer.
    In Manfred Stötzel wuchs die Beklemmung. Sein Kopf dröhnte, während er in die Pedale trat. Ein schlechtes Gewissen plagte ihn seit geraumer Zeit. Und das mit Recht. Jetzt schien das Verhängnis unabwendbar. Denn er war es, der Anfang des Monats die Scheune in Brand gesteckt hatte. Doch noch verdächtigte ihn niemand, und beim Löschen hatte er besonderen Eifer an den Tag gelegt. In diesem Punkt fühlte er sich einigermaßen sicher. Als schlimmer hatte er Lehrer Fanselows Standpauke vor einer Woche empfunden. Er war in letzter Zeit mehrmals der Schule unentschuldigt ferngeblieben, hatte also geschwänzt. Die Schule machte ihn fertig. Vor allem dienstags und mittwochs, wenn der Unterricht bis in die frühen Nachmittagsstunden andauerte, fühlte er sich hundeelend, hatte Kopfschmerzen und war für den Rest des Tages über alle Maßen gereizt. Wenn es ganz schlimm war, zitterten seine Hände, und ihm wurde so schlecht, daß er sich übergeben mußte. Anstatt dem Unterricht zu folgen, streifte er deshalb viel lieber durch die Wälder und dachte sich Geschichten aus. Gern würde er Elektriker werden. Nun rechnete er damit, keine Lehrstelle zu erhalten, zumal seine schulischen Leistungen über das Mittelmaß nicht hinausreichten. Er befürchtete, seine Eltern würden stinksauer reagieren und ihn – nicht zum ersten Mal – verdreschen.
    Er hatte schon als kleiner Junge öfter Schläge bezogen, vor allem, weil er sich mit anderen Kindern schwer vertrug, immer bestimmen wollte und sofort aggressiv wurde, wenn ihm etwas nicht paßte. Später hatte er deshalb lieber allein gespielt. So blieben auch seine Beziehungen zu seinem jüngeren Bruder eher blaß. Jetzt war er ein ausgesprochener Einzelgänger, ohne echte Freundschaften.
    Seine Eltern, unermüdliche Landwirte und fest verhaftet mit ihrem Grund und Boden, gehörten noch zu den wenigen nicht kollektivierten Einzelbauern der Gegend. Tag und Nacht waren sie für ein einigermaßen gutes Auskommen auf den Beinen. Der Vater war ein stiller, fleißiger, im Grunde anspruchsloser Mann, der abends sein Bier trank und, sobald er den Fernseher eingeschaltet hatte, im Sessel einschlief. Daß die Mutter im Hause das Sagen hatte, nahm er widerspruchslos hin. Er empfand es eher als entlastend.
    Stötzel fürchtete sich nur vor einem: Wenn es herauskäme, das Schuleschwänzen, oder gar das Feuerlegen an der Scheune, dann würde er von der Mutter eine tüchtige Tracht Prügel beziehen. Mindestens. Dabei war er fast einen Kopf größer als seine Mutter. Was konnte er tun? Nur eins beschäftigte ihn: Wie konnte er es anstellen, daß Lehrer Fanselow nicht in Grabow bei seinen Eltern erschien? Vielleicht konnte man ihn davon abhalten, ihn überreden. Bloß wie? Alles Grübeln half ihm nicht weiter. Als er das elterliche Gehöft erreichte, hatte er noch keinen Ausweg gefunden. Wie einen Abgrund empfand er, was vor ihm lag. Er mußte den Sturz abwenden, durfte nicht länger zögern. Stötzel stellte sich den möglichen Zeitplan seines Lehrers vor. Der mußte so gegen sechs Uhr abends im benachbarten Stresow bei den Eltern von Pandelitz sein.
    Beim Mittagessen erinnerte der Vater daran, daß er den ganzen Nachmittag auf dem Rübenacker beschäftigt sein würde. Die Mutter indes plante, nach Burg zu fahren. Im Dorf hatte man erzählt, daß es dort Kinderbadewannen aus Plaste geben würde – eine Rarität des sozialistischen
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