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Ekel / Leichensache Kollbeck

Ekel / Leichensache Kollbeck

Titel: Ekel / Leichensache Kollbeck
Autoren: H Girod
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oder nachempfunden, bleiben aber stets sach- und persönlichkeitsbezogen und dienen der Charakterisierung der jeweilig beschriebenen Situation. Die Authentizität der Geschehnisse ist dadurch keineswegs beeinträchtigt und teilweise durch die beigefügten Dokumente belegt.
    Im Anhang finden sich Erläuterungen zu den wichtigen Fachbegriffen und Abkürzungen. Die Angaben der Aktenzeichen soll dem beruflich Interessierten den Zugang zum Originalmaterial erleichtern.

Angst geht irre Wege
    (Aktenzeichen I B 22/64 Bezirksstaatsanwalt Magdeburg)
    Die heutige Bundesstraße 1 schlängelte sich einst als Reichsstraße 1 von Deutschlands Westgrenze nordwärts bis zum ostpreußischen Königsberg.
    Der „Eiserne Gustav“, ein Berliner Kutscher mit bürgerlichem Namen Gustav Hartmann, benutzte sie im Jahre 1928, damals achtundsechzigjährig, für seine legendäre Kutschfahrt nach Paris – ein, wenn auch erfolgloses, so doch originelles Aufbegehren gegen den unvermeidlichen Sieg des Automobils über die gute alte Pferdedroschke.
    Für die DDR begann die Straße bei Marienborn an einem gewaltigen Schild aus Eisen und Beton mit mannshohem Staatswappen und der Aufschrift „Wir begrüßen Sie in der Deutschen Demokratischen Republik“, was den meisten von Helmstedt aus einreisenden „BRD-Bürgern“, wie die heutigen Wessis im Offizialjargon hießen, für den Rest ihrer Fahrt durch das Land der machthabenden Arbeiterklasse die Disziplin gezähmter Klosterschüler aufzwang. Von hier an war sie eine Fernverkehrsstraße, kurz die F 1. Als solche endete sie bei Kietz, einem stillen Dörfchen im Oderbruch, nahe der Grenze zu Polen.
    Im nördlichen Sachsen-Anhalt führte die Straße durch Burg. Diese Kreisstadt verdient als Geburtsort des preußischen Militärtheoretikers Carl von Clausewitz durchaus Erwähnung, auch wenn sie als zentrale Produktionsstätte des begehrten Burger-Knäckebrots für die DDR-Realisten weitaus handfestere Bedeutung besaß.
    Einige Kilometer hinter Burg zweigen von der B1 mehrere Landstraßen ab, die die Ortschaften Ziegelsdorf, Stresow, Grabow und Theeßen verbinden. Dort begann die Abgeschiedenheit ländlicher Idylle.
    Anfang Juni 1964 jedoch schreckte die Bewohner dieser Gegend ein ungewöhnliches Ereignis aus ihrem täglichen Einerlei auf. Die LPG-Scheune in Grabow brannte lichterloh.
    Das Aufgebot an Einsatzkräften aus dem VPKA Burg und der Kreisdienststelle des MfS war beeindruckend. Das hatte seinen Grund. Der Brandursachenermittler der Feuerwehr hegte den Verdacht einer vorsätzlichen Brandstiftung. So etwas rüttelte an den Grundfesten der Arbeiter- und Bauernmacht. Hier war zweifellos ein Feind tätig geworden, ein Saboteur des friedlichen Aufbaus der sozialistischen Landwirtschaft.
    Vor wenigen Jahren hatte die Kollektivierung ihren Abschluß gefunden. Die meisten Bauern hatten sich teils aus Einsicht, teils aus Gehorsam, vielfach aber auch nach massiver, ja sogar handgreiflicher Überzeugungsarbeit in die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften gefügt. Doch viele hatten ihren Hof bereits vor dem Bau der Mauer bei Nacht und Nebel verlassen, um weiter westlich ihr Glück zu versuchen. Das galt als Republikflucht – und als Verbrechen –, insbesondere dann, wenn sich der dem gesellschaftlichen Fortschritt Entziehende aus Zorn und Trotz den Flammen überließ, was mitzunehmen ihm verwehrt blieb. Die Sicherheitsorgane besaßen mit solchem Tun reiche Erfahrungen. In Grabow schienen die Wahrung der Klasseninteressen und die Grundsätze der revolutionären Wachsamkeit ein solches Aufgebot zu rechtfertigen.
    Man ging davon aus, daß der Täter mit den örtlichen Gegebenheiten bestens vertraut war und deshalb den Dorfbewohnern kein Unbekannter sein konnte.
    Und so brodelte es denn in der Gerüchteküche. Ausgesprochene und unausgesprochene Verdächtigungen machten die Runde, und die phantastischsten Versionen wurden in der Ortsparteileitung, im Gemeinderat und natürlich im „Dorfkrug“ ersonnen.
    Allein, kein Verdacht vermochte sich verdichten, und sowohl die bevorstehenden großen Schulferien als auch die Vorbereitungen auf die täglichen Mühen der Erntezeit wären Anlaß genug gewesen, daß sich die aufgebrachten Gemüter allmählich wieder anderen Dingen zuwendeten, wenn nicht ein viel größeres Unheil seinen Lauf genommen hätte.
    Es begann am 25. Juni 1964 in der Polytechnischen Oberschule in Theeßen. Lehrer Winfried Fanselow, 49, nutzte die letzte Stunde in seiner 10 b, um einigen
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