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Eiszeit in Bozen

Eiszeit in Bozen

Titel: Eiszeit in Bozen
Autoren: Burkhard Rueth
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ihm!
    Nur ein Narr konnte glauben, Flammen wären etwas Totes. Nichts war
lebendiger! Feuer hatte einen unbändigen Hunger. Wurde er nicht gestillt, dann
verendete es qualvoll. Nie hatte er das mitansehen können. Und er begriff auch
die Einfältigkeit und Gleichgültigkeit seiner Mitmenschen nicht, die nicht
begreifen wollten, dass es sie ohne die Entdeckung des Feuers gar nicht gäbe.
    Endlich hatte er den Pfad eingeschlagen, der für ihn vorherbestimmt
war. Er schaute voller Ehrfurcht in die meterhohen Flammen. Am liebsten wäre er
hineingesprungen, aber er wusste, dass Feuer in seiner unersättlichen Gier
nicht zwischen Freund und Feind unterscheiden konnte.
    In der Ferne – Sirenen! Diese Ignoranten. Schon wieder marschierten
sie mit ihrer Artillerie auf, um dem Feuer den Garaus zu machen. Er hatte keine
Möglichkeit, es zu verhindern. Das Einzige, was er tun konnte, war, den Flammen
immer wieder neue Nahrung zu geben, das Feuer zu füttern, um sein Vertrauen zu
gewinnen.
    Er lief in Richtung Wald. Wehmütig blickte er noch einmal zurück. Er
hatte den Eindruck, als reckten sich die Flammen nach ihm. Sie riefen voller
Angst: Bleib bei uns! – Lass uns nicht im Stich! Er
fühlte sich wie ein feiger Verräter.
    ***
    Ortler, Forni-Gletscher
    Der Wind hatte sich zu einem richtigen Sturm ausgewachsen.
Das leichte Schneetreiben, das just in dem Moment, als sie den Gipfel des Monte
Cevedale verließen, eingesetzt hatte, war inzwischen ein undurchdringliches
Schneegestöber. Sie hatten höchstens dreißig Meter Sicht. Als Vincenzo heute
Morgen beim Aufbruch von der Branca-Hütte auf das Thermometer geschaut hatte,
zeigte es minus elf Grad, und das Wetter war sonnig und fast windstill. Jetzt
aber, während ihm eisige Schneekristalle wie winzige Splitter ins Gesicht
peitschten, schätzte er die Temperatur auf unter minus zwanzig Grad. Gott sei
Dank hatte er seinen Windstopper angezogen. Der hielt ihm selbst diesen
Kältesturm halbwegs vom Leib.
    Vincenzo war mit Hans Valentin, seinem Bergführerfreund aus Sand in
Taufers, am Samstagmittag in Bozen losgefahren. An dem großen Parkplatz am Ende
der Straße ins Forni-Tal hatten sie den Wagen abgestellt und den bequemen Weg
zur Hütte eingeschlagen. Der Wetterbericht hatte ab Samstagmittag ein
Zwischenhoch versprochen, ehe es im Laufe des Sonntags umschlagen sollte. Damit
war der Sonntag der einzige Tag für ihren vorläufig letzten gemeinsamen Gipfel,
denn in drei Wochen würde Hans zu seiner Expedition nach Neuseeland aufbrechen.
Zuvor hatten immer wieder Schlechtwettereinbrüche ihren langgehegten Plan, den
Cevedale über den riesigen Forni-Gletscher zu besteigen, zunichtegemacht. Hans
hatte die Ortlergruppe ausgewählt, um seinen Freund endlich einmal über einen
der ganz großen Gletscher zu führen. Die technischen Anforderungen waren eher
gering, die Hauptgefahr ging von unter dem Schnee verborgenen Spalten aus. Aber
Hans kannte jeden Winkel dieses Gletschers.
    Bis zum Gipfel hatte sie strahlender Sonnenschein begleitet. Weil
Schnee und Eis die Sonne reflektierten, konnten sie sogar im T-Shirt gehen.
Nachdem sie über den schmalen Grat den höchsten Punkt erreicht hatten, bot sich
ihnen ein atemberaubender Rundblick: vom Palon de la Mare und der Punta San
Matteo, dem südlichen Gipfel des Ortler, bis zur Brenta, zur Bernina und zu
weiteren prominenten Bergriesen. Sie nahmen sich die Zeit für eine ausgiebige
Gipfeljause, zumal sie dort oben ganz allein waren. Normalerweise lockte der
Cevedale im Frühherbst noch zahlreiche Bergsteiger an, aber der angekündigte
Wettersturz hatte die meisten Gipfelstürmer abgeschreckt.
    Dann ging es plötzlich ganz schnell. Von einer Sekunde auf die
nächste frischte der Wind auf, von der Königspitze her zogen dunkle Wolken auf.
Noch während sie ihre Rucksäcke packten, hüllten tief hängende Wolkenfetzen den
Gipfel ein, und kaum eine Stunde später tobte ein bedrohlicher Schneesturm.
Vincenzo wusste, dass er sich allein hoffnungslos verlaufen hätte.
    »Bist du dir sicher, dass wir in dem Inferno den Weg zur Hütte nicht
verpassen?« Er musste gegen die brüllenden Windböen anschreien, damit Hans
Valentin ihn verstehen konnte.
    »Mach dir keine Sorgen, Vincenzo, das ist noch harmlos. Erst heute
Nacht wird es richtig heftig, aber dann liegst du längst in deinem behaglichen
Bett. Davon abgesehen kenne ich mich hier aus. Sonst hätte ich so eine Tour bei
dieser Wettervorhersage nicht mit dir gemacht. Achte bitte darauf, dass du
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